Intensivkind & Pflegedienst: Die Entscheider im Sorgerecht Lebensqualität

I

Wie­der­holt tref­fe ich auf die erzäh­len­de Erfah­rung, dass der Pfle­ge­dienst mit dem Arzt über ein Inten­siv­kind die The­ra­pie ver­han­delt. Die Eltern wer­den nicht eingebunden.
„Geht gar nicht“ klin­gelt es gleich bei mir und ich höre ande­re Eltern als Bestätigung.

Puppe mit Katheter im Haar
Pup­pe mit Kathe­ter im Haar

Sicher­lich, der Pfle­ge­dienst muss dem Arzt eine Rück­mel­dung geben. Er oder die Ärz­tin hat über die Ver­ord­nung die Auf­ga­ben benannt, was ein Pfle­ge­dienst zu leis­ten habe. Die Kran­ken­kas­se hat den aus­ge­wähl­ten Pfle­ge­dienst beauf­tragt. Kann der Pfle­ge­dienst den ver­ord­ne­ten Pfle­ge­um­fang nicht erfül­len, dann muss der Arzt infor­miert wer­den und mit sei­nen Pati­en­ten die Gestal­tung der Pfle­ge besprechen. 

Aber, das gro­ße Aber. Kann der Arzt mit dem Pfle­ge­dienst allein über die The­ra­pie des Kin­des ent­schei­den? Es folgt ein Nein. Ein Nein, denn in der Regel hat weder der Pfle­ge­dienst noch der Arzt dies Sor­ge­recht. Es liegt bei den Eltern. Sie ent­schei­den dar­über, wel­che the­ra­peu­ti­schen Schrit­te gegan­gen wer­den. Dies Recht der Eltern schränkt sich ein, wenn:

  • das Kind /​Jugend­li­cher fähig wird, selbst für sein Wohl zu sorgen
  • ein Fami­li­en­ge­richt das Sor­ge­recht der Eltern beschnit­ten oder ent­zo­gen hat
  • ein ande­re gesetz­li­cher Ver­tre­ter anstatt der Eltern dafür ein­ge­setzt oder bevoll­mäch­tigt wurde

Gewinn und Folgen

2014-04-23_no_3722Ich stel­le mir die Fra­ge, was gewinnt ein Pfle­ge­dienst, wenn er die Eltern mit ihrer Ent­schei­dungs­ge­walt „aus­schal­tet“?
Die Pfle­ge­kräf­te gewin­nen eine bes­se­re Mach­bar­keit und Kon­trol­le über die the­ra­peu­ti­schen Pro­zes­se beim Kind. Die Pfle­ge­kräf­te gewin­nen die Erfah­rung, was alles mach­bar wird und ein wei­te­res Ver­ständ­nis von pro­fes­sio­nel­len Han­deln, in wel­chen sie unab­hän­gig agie­ren kön­nen. Sie gewin­nen einen Abschied von der fami­li­en­ori­en­tier­ten Pflege.

Bei der Betrach­tung kom­men mir die Zwei­fel, ob dies ein Erfolg ist für den Pfle­ge­dienst, es posi­tiv für die Rol­le der Pfle­ge­fach­kräf­te ist. Denn

  • sie wer­den Ent­schei­de­rIn­nen in einem Raum, in denen es einen Kon­flikt geben kann mit der Ver­ant­wor­tung. Die Pfle­ge­fach­kraft muss sich klar sein, wenn eine The­ra­pie fehl schlägt, las­tet es auf ihren Schul­tern. Sie hat nicht die recht­li­che Kom­pe­tenz für die­se Entscheidung.
  • es kön­nen ande­re Kol­le­gen im Team ver­un­si­chert wer­den, da die­se nicht die Ver­ant­wor­tung tra­gen wol­len. Sie sehen die Ent­schei­dungs­ge­walt bei den Eltern und sehen sich in ihrer Rol­le als ein bera­ten­der Gestal­ter der Pfle­ge. Die­se Unstim­mig­keit unter den Pfle­ge­per­so­nal kann das Team stören.
  • es kann zu einem Bruch mit der Fami­lie kom­men. Die Eltern erle­ben es, als wür­de ihr Kind weg genom­men wer­den. Die Bezie­hung zwi­schen Eltern und dem Kind wird gestört.
  • es ver­un­si­chert die Eltern in ihrer Rol­le. Sie wol­len für ihr Kind sor­gen und ihr Best­mög­li­ches mög­lich machen.

Die Familie entscheidet

Für mich gilt, die Fami­lie muss ent­schei­den, wel­chen Weg sie gehen wol­len. Ich sehe es als Ent­las­tung für die Pfle­ge­kräf­te, wenn sie wis­sen, ihre Ver­ant­wor­tung liegt in der Bera­tung und nicht in der Ent­schei­dung. Schlägt eine The­ra­pie fehl, so kön­nen die Pfle­ge­fach­kräf­te auf die erfolg­te Bera­tung ver­wei­sen, wenn es nötig ist. Wenn die Betrof­fe­nen einen eige­nen Weg gehen, kann es für die Pfle­ge­fach­kräf­te zu einer hohen Erfah­rungs­samm­lung kom­men. Sie ler­nen zum Bei­spiel, dass bei sehr sel­te­nen Erkran­kun­gen eige­ne Wege gegan­gen wer­den müs­sen. Die „Stan­dard­the­ra­pien“ zei­gen nicht ihre Wir­kung. Die Eltern oder die klei­nen Pati­en­ten sind hier selbst „Pro­fis“ rund um die Erkrankung.

2014-04-19_no_3573Ich stim­me zu und ken­ne die Erfah­rung: Es ist für die Pfle­ge­fach­kräf­ten nicht leicht, eine schwie­ri­ge gesund­heit­li­che Situa­ti­on anzu­neh­men mit dem Ver­trau­en, was die Eltern oder der Pati­ent für sich ent­schei­det. Dies sei der opti­ma­le Weg. Ist die­ser Weg der rich­ti­ge? Es ist der Weg, der in die­ser Situa­ti­on von den Betrof­fe­nen ange­nom­men wer­den kann und ja, es könn­te ein Weg sein, der die Lebens­ver­län­ge­rung ein­schränkt. Auch die­se Ent­schei­dung muss getrof­fen wer­den. Und kei­ne Ent­schei­dung über eine The­ra­pie zu tref­fen ist eine Entscheidung.

Es kann eine wich­ti­ge und posi­ti­ve Auf­ga­be für die Pfle­ge­fach­kräf­te wer­den, wenn sie ler­nen, die Lebens­si­tua­ti­on der Fami­li­en mit zu tra­gen. Es ent­steht die Auf­ga­be, zu schau­en und zu prü­fen, wie sie ihre Pfle­ge gestal­ten kön­nen, um die Lebens­qua­li­tät zu stei­gern. Die Kon­zen­tra­ti­on nur auf das Kind könn­te kon­tra­pro­duk­tiv sein. Es muss klar sein, es geht bei vie­len Inten­siv­kin­dern nicht um die Hei­lung, son­dern um Lebens­qua­li­tät und die not­wen­di­ge Ant­wort, ab wel­chen Punkt käme der Abschied aus dem Leben.

Die Lebens­qua­li­tät wird durch die gesam­te Fami­lie gelebt und bestimmt. Wenn es den Eltern nicht gut geht, wenn Sie nicht als voll­wer­ti­ge Eltern aner­kannt und ihre elter­li­che Kom­pe­ten­zen wert­ge­schätzt wer­den, lei­det die Bezie­hung zwi­schen dem kran­ken Kind und den Eltern. Damit fällt die Lebens­qua­li­tät und dadurch könn­te die pro­fes­sio­nel­le Pfle­ge schwie­ri­ger wer­den, weil Fron­ten ent­ste­hen und Offen­heit ver­schwin­det. Der Pfle­ge­dienst könn­te nur noch Dienst­leis­ter wer­den, den die Fami­lie als Last empfindet.

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by dirkstr

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