Intensivkind & Alltag: Wie sollst denn sein

I

Da stehst du mor­gens auf, unver­hofft, hast noch kei­nen rich­ti­gen Blick dafür, was dir der Tag so brin­gen mag und dann nimmst du das Kind vom Pfle­ge­dienst ent­ge­gen und der erzählt dir erst­mal von der Nacht, bes­ser gesagt, von dem Kampf in den Mor­gen­stun­den, dass sie total unru­hig war, sich auf­ge­regt hat­te bis zu einem Puls von über 190. Du stöhnst und fragst, ob sie nicht noch Fie­ber hat. Dies wird ver­neint, aber sie war dabei ganz schön heiß und ordent­lich gekrampft hat sie auch. Toll, ant­wor­test du still, was dann aber auch das ein­zi­ge Wort ist, was dir durch den Kopf schießt. Und jetzt schläft sie, der Pfle­ger sagt Ciao und du stellst dir die Fra­ge, ob sie denn fit genug ist, um in die Kita zu gehen. Für die Ant­wort setzt du dir ein Ulti­ma­tum, es ist halb sie­ben, um acht soll­te es klar sein. Nach­dem die ers­te Tas­se Kaf­fee in dir ist, beschließt du, sie geht in die Kita, du hast heut noch Ter­mi­ne und solan­ge sie kein Fie­ber hat… Du weckst sie sanft, putzt die Zäh­ne, wäschst sie, damit du es schafft, um gegen Neu­ne im Bus zu stehen.

Das Kind pariert, selbst die Pro­ze­dur “Set­zen in den Bug­gy” ver­lief dies­mal ohne Kom­pli­ka­tio­nen. Dann rennst du zum Bus, der kommt und hält es nicht für nötig sich abzu­sen­ken fürs Ein­stei­gen mit Bug­gy. Das wäre doch das min­des­te, denkst du und wuch­test den Bug­gy irgend­wie rein in die sti­cki­ge Luft von Men­schen. Drin­ne denkst du noch, wenn der Fah­rer beim Aus­stei­gen nicht absenkt, dann geht ein Brief an die Bus­ge­sell­schaft. Doch du ver­schluckst die Idee, da dein Blick auf eine Frau fällt, die sich gera­de von dir abwen­det, umdreht und ihren dicken Hin­tern fast ins Gesicht dei­ner Toch­ter schiebt. Aber da das Kind gera­de mal kramp­fen muss­te und dabei die Arme hoch riss, stieß sie mit der Hand die Frau an und wies so selbst auf die nöti­ge Distanz hin.

Ange­kom­men am Ziel­ort und raus, das klapp­te gut. Dies­mal wur­de der Bus abge­senkt und du spürst sofort, wie viel ein­fa­cher man die Kar­re raus bewe­gen kann. Dann ver­suchst du dir das schlech­te Gewis­sen abzu­strei­ten, näm­lich dass Lau­fen doch bes­ser gewe­sen wäre. Wäre. Da du eigent­lich mit ihr noch in die Post woll­test. Aber du lässt es, des Frie­dens in dir wegen, denn die haben gera­de kei­nen Roll­stuhl­zu­gang, selbst für Kin­der­wa­gen ist es mehr als ein Umstand. Da musst du klin­geln und dann bedient dich eine oder einer. Wäh­rend du auf sie war­test, stehst du da wie auf einen Prä­sen­tier­tel­ler: Schaut her Leu­te, ich kann nicht hin­ein, ich bin behin­dert, da mei­ne Toch­ter behin­dert ist. Dabei hat­ten die die Post gera­de erst saniert, geht es dir durch den Schä­del, gera­de und haben den Roll­stuhl­weg durch den Hin­ter­ein­gang gelegt, durch einen Laden, der aber jetzt dicht gemacht hat.

Bar­rie­re­frei­heit, die gibt es nur dann, wenn auch die Geschäf­te ordent­lich lau­fen und dann kann man wohl auch den Behin­der­ten bedie­nen, ohne dass er sich dis­kri­mi­niert füh­len muss. Sich zurück gestellt füh­len, da er vom Innen­le­ben der Post aus­ge­schlos­sen ist. Er kann sich, so wie du mit dei­ner Toch­ter, nicht so bewe­gen wie alle ande­ren auch, son­dern ist auf umständ­li­che Hil­fe ange­wie­sen. Da fragst du nur, war­um gibt es kei­ne Fest­le­gun­gen für behin­der­ten­ge­rech­te Zugän­ge bei Geschäf­ten, Ein­rich­tun­gen des täg­li­chen Lebens. Du fin­dest kei­ne Ant­wort und gibst das Kind in die Obhut der Kita. Als du das Haus ver­lässt, hoffst du nur, dass heu­te alles glatt geht und nicht doch noch das Sym­ptom Fie­ber dich unplan­mä­ßig zur Kita zurück beordert.

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by dirkstr

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