Drei verschiedene Worte, lebensverlängernd, lebenserhaltend und Lebensqualität, verlangen drei unterschiedliche Definitionen, so die Regel. Also wo liegt der Unterschied? Doch eine andere Regel lautet, um sich den Definitionen zu nähern: Was haben sie gemeinsam? Eine Antwort hier sollte nicht schwer sein, so steckt sie doch schon in den ersten Teil des zusammengesetzten Wortes: das Leben.
Aber es bindet sie noch etwas mehr, eben der Zusammenhang, wo diese Wörter auftauchen und eine vermeintlich wichtige Rolle spielen: Wenn ein Mensch schwer krank ist, dessen Prognose nur noch einen kurzen Lebensweg prophezeit und man die Frage stellt, ab wann beginnt man mit der Palliativbehandlung, also ab wann bricht man die Therapien ab, die sich um eine Heilung der Erkrankung kümmern. Eine Diskussion, die auch das Intensivkind trifft und im letzten Gutachten vom MDK, durch das die Hospizpflege abgelehnt wurde, angesprochen wurde. Aber, und diesem muss man sich auch gewiss sein: Die Beschränkung für diese Begriffe nur auf die letzte Phase im Leben zu beziehen, greift zu kurz.
Nähern wir uns am Anfang den Begriff “lebensverlängernd”. Auf der Kreuzung, die Sie jeden Tag überqueren, wurde vor einer Woche ein Radfahrer vom LKW erfasst. Schwer verletzt kam dieser in die Klinik: Plötzlich trat dort ein akutes Herz- und Lungenversagen ein. Der Radfahrer, ein junger Mann, wird reanimiert. Man schafft es durch die Herzdruckmassage, durch stabilisierende Medikamente, sein Herz wieder auf Trab zu bekommen. Es arbeitete wieder, doch die Lunge, durch ihre Schädigung, versagte weiterhin ihren Dienst. Die Atmung, sie funktionierte schon, doch reichte die Arbeit der Lunge nicht aus, um den Körper ordentlich mit Sauerstoff zu versorgen und das Kohlendioxid loszuwerden. Der junge Mann kam an die maschinelle Beatmung. Routine, eine lebensverlängernde Maßnahme, denn ohne den intensivmedizinischen Aufwand hätte es ihm ganz aus dem Leben gerissen. Er wäre gestorben. Lebensverlängernd oder ist dies nicht eher eine lebenserhaltende Maßnahme.
Es fällt schwer, hier einen Strich, eine scharfe Trennung zu ziehen. Vielleicht sind es sogar Synonyme. Aber auch wenn diese beiden Begriffe sinnverwandte Wörter sind, so haben viele Synonyme doch einen Unterschied, der sich auch nur in einem kleinen Detail ausdrücken kann. Ein Detail, was für den korrekten Sprachgebrauch wiederum wichtig ist.
Darum sagen wir bei diesem jungen Mann, im Nachhinein: Die Behandlung war lebenserhaltend. Denn nach drei Tagen konnte er wieder von der Beatmung ab und wurde von der Intensivstation auf die reguläre unfallchirurgische Station verlegt. Sein Leben wurde zwar verlängert, in dem Sinne, dass er ohne die Intensivmedizin gestorben wäre, aber an sich hat diese Medizin nur sein Leben erhalten, denn ohne diesen Unfall hätte sein Leben, an sich, noch kein Ende gefunden. Er konnte vorher, wie auch nach der Therapie, sein Leben selbstständig, in all seinen Funktionen, aufrecht erhalten. Er war gesund.
Anders verhält es sich bei einem Schwerkranken mit einem abbauenden Prozess. Nehmen wir eine ältere Frau als Beispiel mit einem Gehirntumor, der nicht mehr behandelt werden kann, weder mit dem neurochirurgischen Skalpell, noch mit einer Chemotherapie. Also eine Behandlung im Sinne von Heilung bringt nichts. Aber man weiß, durch eine leichte Chemotherapie kann man das Tumorwachstum einschränken. Er breitet sich also dadurch langsamer aus. Letztendlich, wenn diese Therapie Erfolg hat, verlängert es das Leben. Doch entsteht dadurch ein Konflikt. Diese Behandlung des Tumors richtet sich nicht mehr nach dem Ziel: Heilung, denn die ist ausgeschlossen. Sie wäre oder ist demnach eine palliativmedizinische Maßnahme, doch wiederum steht eine solche Behandlung unter der Bestimmung: Sie ist lebensverlängernd. Aber sie ist hier palliativ, denn die Therapie hält nicht das Leben aufrecht, in dem Sinne, dass die Vitalfunktionen wie Atmung und Herzschlag künstlich aufrecht erhalten werden. Dies schafft, wenn vielleicht auch eingeschränkt, der Körper immer noch selbst.
An sich könnte jetzt jeder einwenden: Diese “leichte” Chemotherapie verlängert aber das Leben und dies auch künstlich, denn ohne die Therapie würde die Frau eher sterben. Ich kann hier auch nicht Nein sagen und den Konflikt auflösen. Doch möchte ich es anders aus der palliativmedizinischen Sicht betrachten: Verlangsamt man das Wachsen vom Tumor, so kann es aber auch möglich werden, die todkranke Frau würdevoll auf den Weg zum Tod zu begleiten. Würdevoll, in dem man versucht medizinisch, sie möglichst von unnötigem Leid wie Schmerzen oder bewussten neurologischen Ausfällen frei zu behalten, bis der Tod eintritt. Denn verläuft der Sterbeprozess langsamer, so kann man ein wenig Zeit gewinnen, parallel die Frau auf weitere Therapien langsam einzustellen, wie Schmerzmittel, um das Sterben zu erleichtern und um das Maximale an Lebensqualität zu erhalten, bis der Tod eintritt.
Lebensverlängernd wäre es mit Sicherheit dann, wenn man noch, kurz bevor der Tod eintritt, beginnt lebenserhaltende Maßnahmen einzuleiten, indem man versucht zum Beispiel einen einbrechenden Herzkreislauf zu stabilisieren. Aber auch hier muss man es in eine neue Waagschale werfen: Verbessert man dabei die Lebensqualität oder verlängert man nur, unnötig, den Sterbeprozess und letztendlich das Leid?
Damit wären wir beim Wort Lebensqualität. Doch nicht allein sondern auch bei den Begriffen Waage und Leid. Aber nähern wir uns erst der Lebensqualität. Sicherlich wird jeder diese für sich anders definieren. Was für den Einen Lebensqualität ist, ständig auf Reisen zu sein, ist es für den anderen immer das neueste Handy in der Tasche zu haben. Aber für einen Schwerkranken kann man den Begriff Lebensqualität, was ihn ausmacht, enger eingrenzen, wie zum Beispiel bedeutet es zum einen, dass man sich als Kranker noch selbstständig pflegen kann und zum anderen, dass man ohne Probleme die Dinge des täglichen Lebens meistert. Ohne Probleme heißt auch für viele: ohne Hilfe von Anderen. Denn Hilfe schränkt ein, man kann seine Bedürfnisse, wie den Gang zur Toilette, nicht mehr spontan erfüllen, sondern man muss erst jemand darum bitten. Hilfe erzeugt, zum Teil, eine unliebsame Abhängigkeit vom Anderen. Die Hilflosigkeit des Kranken erzeugt somit Leid für ihn. Lebensqualität ist also verknüpft mit dem Freisein von Leid. Leid selbst drückt sich nicht nur durch Schmerzen aus, sondern ist weit mehr, wie viele wissen, und dessen erfahren, welche Lebenssituation Leid bedeutet, auch abhängig vom jeweiligen Menschen.
Doch bleiben wir bei der Palliativmedizin und nehmen wir als Beispiel ein Mensch mit einer abbauenden Muskelerkrankung und wir brauchen hierzu noch eine Waage, in der wir in die eine Schale das Leid legen und in die andere eine vermeintlich lebensverlängernde Therapie. Die Muskelerkrankung, nehmen wir wieder einen jungen Mann, ist jetzt in einer Phase, wo das selbstständige Atmen mehr und mehr für Probleme sorgt. Doch die Probleme sind jetzt nicht, dass der junge Mann gar keine Luft mehr bekommt, um die Lebensfunktionen seines Körpers aufrecht zu erhalten, sondern, er ist im Alltag, in der Teilhabe am Leben, sehr stark eingeschränkt wegen ständiger Müdigkeit, Konzentrationsstörungen und fehlender Belastbarkeit. Der Grund: Sein Körper schafft es nicht mehr, sich im Schlaf ausreichend zu erholen aufgrund der eingeschränkten Muskelarbeit der Atemorgane.
Und wie kann man ihn helfen, wieder an Lebensqualität zu gewinnen, natürlich vorausgesetzt es ist auch sein Wunsch? Um ihn helfen zu können, müsste man ihm eine maschinelle Beatmung zu gestehen, doch heißt es bei dieser, sie ist doch lebensverlängernd. Ein Konflikt, weil man mit der Beatmung wiederum eine Vitalfunktion aufrecht erhalten kann, auch wenn diese völlig versagt. Die Beatmung wäre in dem Fall also lebensverlängernd? Nein, denn die Vitalfunktion “Atmung” bei dem jungen Mann ist noch vorhanden, aber nicht ausreichend für die Lebensqualität. Doch mit einer Beatmung, zum Beispiel während des Schlafes, lindern wir sein Leid, den täglichen Belastungen des Alltags nicht standhalten zu können, da sich so sein Körper gut erholen kann. Der junge Mann kann wieder am Leben teilhaben. Die einfache Assoziation Beatmung und Lebensverlängerung ist also nicht passend, sondern wir müssen hier die Verknüpfung hin zum Begriff Lebensqualität setzen, die Verminderung von Leid. Mit der Beatmung erreicht man es (wieder), die Lebensqualität herzustellen.
Und im Gegenzug weiß man auch nicht, wie lange sich der Prozess seine Erkrankung noch hinzieht. Auch ohne die nächtliche Beatmung könnte er, im Sinne der Lebenserwartung durch die Erkrankung, noch lange Leben. Als profanes Beispiel nehmen wir einen Schnarcher, welcher auch zum Schlaf eine atemunterstützende Maßnahme über eine Maschine bekommt, damit er am Tag wieder leistungsfähig wird und sogar so in seinem Beruf wieder arbeiten kann. Eine Prognose, ob sich dadurch sein Leben an sich verlängert, kann man nicht einfach aus dieser Therapie ableiten.
Aber, und dies ist wohl mit ein Ziel im Gesundheitswesen, man verlängert durch das Herstellen von Lebensqualität das Leben an sich, also die durchschnittliche Lebenserwartung der Bevölkerung. Ein einfaches Beispiel hierfür ist der heutige individuelle Wohnraum und die Schaffung von ausreichend Krankenhäuser. Früher, vor über hundert Jahren, lebte ein Großteil der Menschen beengt auf kleinem Raum, wodurch sich leichter ansteckende Krankheiten übertrugen. War ein Familienmitglied geschwächt oder das Immunsystem noch nicht ausreichend gereift, wie bei einem Säugling, konnte diese eine Infektion zum Tode führen. Doch durch ein Plus an Platz in der Wohnung kann man den Kranken besser “separieren” bzw. durch die heutigen kurzen Wege in die Klinik, ist eine Einweisung dorthin auch schnell möglich, um das Umfeld zu schützen.
Natürlich kann sich auch bei einem Schwerkranken das Leben verlängern, wenn man (wieder) ein Stück Lebensqualität für ihn herstellen kann, denn dies kann ihn aus einem depressiven Loch holen und für ihn, auch wenn es noch wenige Monate oder Wochen sind, bis zum Tod, das Leben lebenswert machen, womit auch sein Lebenswille steigen kann. Und dies ist bekanntlich auch ein wichtiger Gegenspieler, um erfolgreich eine Erkrankung zu bekämpfen oder sich mit dieser friedlich zu arrangieren. Möchte man dieses den Todkranken absprechen?
Hallo ich finde die Ausführungen sehr gut.Leider helfen sie mir nicht weiter. Ich betreue eine im letzten Stadium der Demenz befindlichen alte Dame. Sie kann nicht mehr sprechen und nicht mehr selbständig essen und trinken. Sie möchte auch nicht essen . Sie wird immer wieder animiert.Früher konnte sie das Essen noch ausspucken als sie am Tisch saß. Jetzt liegt sie. Sie kann sich zum ausspucken nicht mehr nach vorne beugen um das Essen auszuspeien. Sie muss dann schlucken.Ihr langsames verhungern wird damit verlängert . Ist das Füttern nun lebenserhaltend oder lebensverlängernd?Wenn ich es richtig verstanden habe ist das lebensverlängernd denn sie wird nie wieder selbständig essen können. Die Demenz und ihr Verfall wird weiter fortschreiten. Von Lebensqualität kann nicht gesprochen werden.Sie ist total abhängig von Hilfe und kann sich nicht äußern ob sie Schmerzen hat.
Hallo,
diese Begriffe, deren Definition, würde ich nicht als fix betrachten, sondern sie müssen auf den einzelnen Menschen in seiner Lebenssituation betrachtet werden. Nahrungsaufnahme, ob oral oder Sonde oder Vene, ist primär eine lebenserhaltende Maßnahme aus meiner “Definitionswelt” heraus. Lebensverlängernde Maßnahmemn sind Geschehnisse, wo der Körper durch verschiedene Dinge soweit unterstützt wird, wie eine Beatmung, dass der Tod “verhindert”. Oder andersherum: Ohne diese Maßnahme träte der Tod ein.
Bei Nahrungsaufnahme — hier kann der Körper sich selbst versorgung und sein Leben auf natürliche Weise aufrecht erhalten. Lässt man die Nahrung weg, geht es in Richtung: Durch Unterlassung von, für jeden von uns lebensnotwendigen Dingen, wird versucht das Leben zu beenden z.B. der Körper “verhungert”, was aber nicht heißt, dass der Menschen leiden muss darunter. Trotzdem wäre es ein Straftatbestand, wenn es einfach so gemacht wird.
Nicht selbstständiges Essen würde ich nicht als lebensverlängerndee Maßnahme bezeichnen und es würde eine schwierige ethische Diskussion auslösen, denn viele Menschen mit Behinderung mit guter Lebensfreude würden hier wohl ihr Veto massiv einheben.
Also, wie gesagt, es ist immer die individuelle menschliche Situation zu betrachten und was ist der “vermeintlich” Wille der gepflegten Person. Die Beurteilung und die weitere Pflege oder medizinsiche Versorgung kann hier zusammen mit die /dem Betreuer_in, Angehörige und Palliativteam (Hausärzt:in) besprochen werden. Eventuell muss ein:e Richter:in hinzugezogen werden, um Entscheidungen im “vermuteten” Sinn der Betroffenen zu treffen, wie diese Situation gelöst werden kann mit der bestehenden Rechtslage. Als Pflegeperson können Sie dies anregen bei der Betreuer:in; reagiert diese nicht, dann können Sie auch beim Betreuungsgericht nachfragen, ob es dort angeregt werden kann, dies Lebenssituation zu prüfen.
Anbei: Wir können uns über die “erlebte” Lebensqualität von Menschen mit schweren Erkrankungen oder Behinderung täuschen. Es wirkt für uns so, da wir von uns ausgehen, doch heißt dies nicht gleich, der andere Mensch erlebt keinen Lebenswert. Ich bin hier sehr, sehr vorsichtig und würde es auch als anmaßend gegenüber mir selbst erleben. Wir dürfen nicht aus einer belastenden, anstregnenden Pflegearbeit schlussfolgern. Da ist ist sinnvoller eine Supervision einzufordern und in Austausch mit Kolleg:innen zu gehen, wie die es betrachten. Ein anderer kann es ganz anders betrachten als wir.