Pflegemanagement aktuell — Pflegende Angehörige wittern Reichtum

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Nach der Mel­dung oder eher dem Kom­men­tar von “Pfle­ge­ma­nage­ment aktu­ell” von der Redak­ti­on Ver­lag PRO Pfle­ge­ma­nage­ment könn­te ich eine Gold­grä­ber­stim­mung erle­ben, also Reich­tum erhof­fen. Die /​der Autor_​In schlägt sogar vor den Pfle­ge­geld­an­spruch ersatz­los zu strei­chen. So las­se sich ein Miss­brauch von Pfle­ge­geld vor­beu­gen: http://​bit​.ly/​2​d​D​w​Bal

Ich bin irri­tiert. Hat die Redak­ti­on Angst, dass deren Leser_​Innen, ver­mut­lich Lei­tun­gen von Pfle­ge­diens­ten, kei­ne Auf­trä­ge für ihre Fir­ma mehr gene­rie­ren können?

Ich stel­le klar: Beim Pfle­ge­geld han­delt es sich um eine Ehren­amts­ent­schä­di­gung, um nichts mehr. Eine Ent­schä­di­gung, die kei­ne Lohn­er­satz­zah­lung dar­stellt wie zum Bei­spiel das (Kinder-)Krankengeld. In wel­cher Rea­li­tät lebt die Redak­ti­on? Das wir pfle­gen­de Ange­hö­ri­ge, wir Eltern unse­re (schwer-) kran­ken Kin­der oder Kin­der mit Behin­de­rung nicht pfle­gen wür­den? Das wir das Pfle­ge­geld ein­strei­chen, neben unse­ren Lebens­un­ter­halt aus Job, Ren­te oder Arbeits­lo­sen­geld. Wir dann die­sen Geld­be­trag aufs Kon­to packen und ab in den Süden rei­sen. Sor­ry, unse­re Welt sieht anders aus.

Bei vie­len Fami­li­en mit einem Inten­siv­kind muss ein Eltern­teil auf die Berufs­tä­tig­keit ver­zich­ten. Dies zwin­gend, wenn die Fami­lie eine „Nor­ma­li­tät“ auf­bau­en will statt das Kind in ein Heim zu geben:

  • Durch den Pfle­ge­not­stand kön­nen vie­le Pfle­ge­diens­te nicht den ärzt­lich gefor­der­ten Pfle­ge­um­fang über­neh­men. Es kommt (wie­der­holt) zu Dienst­aus­fäl­len. Über­nah­me von Diens­ten bedeu­ten, ich kann in mei­nen Job nicht arbei­ten oder die Geschwis­ter­be­treu­ung, der Haus­halt lei­det. Hier läuft jeder pfle­gen­de Ange­hö­ri­ge als Arbeit­neh­mer Gefahr, von sei­ner Fir­ma gekün­digt zu wer­den oder als Frei­be­ruf­ler sei­ne Auf­trä­ge zu verlieren.
  • Die Pfle­ge­ver­si­che­rung ist nur eine Teil­kas­ko­ver­si­che­rung. Vie­le Kin­der mit Behin­de­rung haben einen hohen Bedarf an Grund­pfle­ge­zeit. Wür­den die Eltern die Pfle­ge voll­stän­dig an den Pfle­ge­dienst abge­ben wol­len, müss­ten sie viel von ihren finan­zi­el­len Res­sour­cen an den Dienst­leis­ter bezah­len. Dies wür­de die haus­ei­ge­ne Fami­li­en­kas­se bei vie­len spren­gen und sie in Armut stürzen.
  • Wenn die Fami­li­en den Pfle­ge­dienst nur das bezahlt, was die Pfle­ge­kas­se leis­tet, müss­ten vie­le Fami­li­en trotz­dem viel Pfle­ge­zeit ihres Kin­des selbst über­neh­men. Das „rest­li­che“ Volu­men der Pfle­ge ist bei vie­len Kin­dern mit Behin­de­rung dann so hoch, dass eine Berufs­tä­tig­keit eines Eltern­teils trotz­dem schei­tert. Zu Beden­ken ist, dass ein­zel­ne Leis­tun­gen bei Kin­dern einen ande­ren, zumeist höhe­ren zeit­li­chen Auf­wand bedeu­ten als bei älte­ren Men­schen. Dies hat meh­re­re Grün­de. Jeder wirt­schaft­lich arbei­ten­de Pfle­ge­dienst wür­de ent­we­der schnell auf einen zeit­ab­hän­gi­gen Tarif umstel­len wol­len, wodurch weni­ger Leis­tun­gen über­nom­men wer­den, oder die­se Ver­sor­gung kün­di­gen.
  • Durch die Behin­de­rung des Kin­des brau­chen vie­le eine grö­ße­re Woh­nung oder ein Haus wegen den gesam­ten Hilfs­mit­tel­park vom Kind. Die Hilfs­mit­tel bei der Inten­siv­la­dy neh­men min­des­tens 15qm ein.
  • Bei vie­len stei­gen die Heiz­kos­ten an, weil der Mensch mit Behin­de­rung nicht die Mus­kel­ar­beit leis­ten kann, um sich selbst­stän­dig sicher warm zu halten.
  • Bei vie­len stei­gen die Krank­heits­kos­ten, weil zum Bei­spiel The­ra­pien und Hilfs­mit­tel nicht von der Kran­ken­kas­se über­nom­men wer­den. Ich ver­wei­se hier nur auf das The­ma Inkon­ti­nenz­ver­sor­gung (Win­deln). Da zah­len vie­le zu, um eine siche­re Win­del­ver­sor­gung zu erhalten.
  • Vie­le müs­sen sich ein neu­es Auto besor­gen, was grö­ßer und even­tu­ell roll­stuhl­ge­recht ist. Der Umbau und das Fahr­zeug selbst wird in vie­len Fäl­len bei Kin­dern von kei­nem Amt über­nom­men. Finan­zi­el­le Hil­fen über Stif­tun­gen /​Spen­den dafür sind rar. Der Unter­halt eines grö­ße­ren Fahr­zeu­ges ist z.B. durch Steu­er und Ver­si­che­rung, meist deut­lich höher. Wir sind von einem Renault Kom­bi auf den VW Cad­dy gewech­selt, um mobil blei­ben zu kön­nen mit dem Reha­bug­gy und den ande­ren Hilfs­mit­teln. Vor zwei Jah­ren muss­ten wir sogar auf einen VW-Bus umstei­gen, da der Roll­stuhl mehr Platz bedarf. Für unse­re Bedürf­nis­se ohne das “Drum­her­um” von der Inten­siv­la­dy bräuch­ten wir kei­nen Bus.

Also was bleibt? Gold­grä­ber­stim­mung, wenn ich als pfle­gen­der Ange­hö­ri­ge mei­nen Job auf­ge­ben muss, bei dem ich mehr als das Pfle­ge­geld ver­die­ne? Gold­grä­ber­stim­mung, weil wir eine grö­ße­re Woh­nung mie­ten müs­sen als eine jede ande­re „nor­ma­le“ Fami­lie mit zwei Kindern?

Und das Pfle­ge­geld ist kein gesi­cher­tes Ein­kom­men. Bei lan­gen Kli­nik­auf­ent­hal­ten oder in der Kurz­zeit­pfle­ge, im Kin­der­hos­piz wird ein Teil Pfle­ge­geld von der Pfle­ge­kas­se ein­be­hal­ten. Dazu sei gesagt, vie­le pfle­gen­de Ange­hö­ri­ge erbrin­gen her­vor­ra­gen­de Pfle­ge­leis­tun­gen bei ihrem Ange­hö­ri­gen, die sich hin­ter der Qua­li­tät von Pfle­ge­fach­kräf­ten nicht zu ver­ste­cken braucht.

Was mei­nen Sie? Soll­te uns pfle­gen­den Ange­hö­ri­gen das Pfle­ge­geld gestri­chen werden?

Es gibt ver­mut­lich Fäl­le, wo Ange­hö­ri­ge das Pfle­ge­geld bekom­men, aber die Pfle­ge gar nicht erbrin­gen. Ist dies die Mas­se? Ich mut­ma­ße nein. Auf der ande­ren Sei­te gibt es Betrug bei der Abrech­nung von Pfle­ge­leis­tun­gen bei Pfle­ge­diens­ten. Die­ser Miss­brauch und Betrug wird es womög­lich immer geben, trotz schär­fe­rer Kon­trol­len, wie auch in ande­ren Berei­chen z.B. Steu­er. Sol­len wir des­halb gleich alle Sozi­al­leis­tun­gen einstellen?

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Kommentar

  • Lei­der ist der Betrug mit der Pfle­ge weit ver­brei­tet. War­um auch immer die Moral sol­cher Leu­te nicht funk­tio­niert, ich bin der Mei­nung, dass es gut ist, dass Pfle­ge­geld gezahlt wird.
    Es gibt genü­gend Per­so­nen, die tat­säch­lich, man mag es kaum glau­ben, auf das Geld ange­wie­sen sind, weil sie wirk­lich inten­si­ve Pfle­ge leisten…

    • Um einen Betrug wirk­lich sicht­bar zu machen oder zu begeg­nen — zum einen ist das Kon­troll­in­stru­ment “Bera­tungs­be­such” nicht wirk­sam (genug), zum ande­ren stellt sich die Fra­ge, ob die Pfle­ge­kas­sen wirk­lich ein Inter­es­se haben, hier etwas zu unter­neh­men. Denn auch eine “ver­bes­ser­te” Kon­trol­le gegen Miss­brauch kos­tet Geld. Das Pfle­ge­geld abschaf­fen könn­te eine Fehl­ent­schei­dung sein, da es einen wei­te­ren Anreiz nimmt, sei­ne Ange­hö­ri­gen zu pfle­gen. Auf­lö­sen liess sich die­ses Dilem­ma, wenn ein bedin­gungs­lo­ses Grund­ein­kom­men gäbe.

by dirkstr

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