Die Klage vor dem Sozialgericht Altenburg um die Ablehnung der Hospizpflege von der BKK für Heilberufe wurde abgewiesen. Als letzter Satz heißt es in dem Gerichtsbescheid:
„Vor diesem Hintergrund stimmt die Kammer der Auffassung des MDK zu, dass es sich bei der Unterbringung des Kindes in einem Kinderhospiz um eine Fehlbelegung handelt und statt dessen ein Schwerstpflegeheim gefunden werden sollte, das Erfahrungen mit
schwerstpflegebedürftigen, beatmungspflichtigen Kindern hat.” Sozialgericht Altenburg. S30 KR 3729⁄07. 05/2009
Nun, was ist der Hintergrund, warum das Sozialgericht dem MDK zustimmt? So wie ich es erfasse, hält sich das Sozialgericht an den Rahmenvereinbarung nach §39 fest von 1998 wonach es heißt in einem Punkt: Voraussetzung für Hospizpflege sei eine begrenzte Lebenserwartung von Wochen oder wenigen Monaten erforderlich.
Die Prognose vom Intensivkind lautet, dass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht das 18. Lebensjahr erreicht, die Voraussetzung um in Kinderhospizen aufgenommen zu werden. Ein Drittel der Kinder mit diesem Syndrom, so eine statistische Erhebung, versterben vor dem 10. Lebensjahr.
Doch zu der Statistik der Lebenserwartung durch die Erkrankung für das Gericht an:
„Das Erfordernis der begrenzten Lebenserwartung von Wochen oder wenigen Monaten lässt sich somit nicht auf statistische Erfahrungswerte stützen.“ ebd.
Legt man also die Statistik beiseite, so kommt der zweite, für uns eigentliche Teil der Prognose von der Erkrankung PCH 2. Bei den Kindern besteht zu jedem Zeitpunkt das Risiko eines unvorangekündigten Todes. Also wir wissen, sie kann morgen, übermorgen oder auch nächste Woche einfach durch ein Ereignis wie zentrales Fieber versterben. Aber diese Prognose begründet laut dem Gericht nicht die Vorraussetzung für die Hospizpflege. Denn, so sagt die Kammer:
„Die in § 2 der Rahmenvereinbarung genannten Voraussetzungen verdeutlichen, dass der in absehbarer Zeit bevorstehende Tod des Patienten das wesentliche Aufnahmekriterium ist. Dieser absehbare Zeitraum wird mit “Wochen oder wenigen Monaten” umschrieben.“ ebd.
Also eine Prognose, verstehe ich es richtig, wo Menschen jeden Tag mit dem Tod konfrontiert sein können wegen einer schweren Erkrankung, entspricht keiner absehbarer Zeit. Demnach stehe einen unheilbaren kranken Menschen die Hospizpflege nicht zu, wo der Arzt sagt: „Sie können jeden Tag jetzt sterben, einfach weil das Atemzentrum aussteigt oder ein schweres Fieber kommt. Aber wann das ist, ob Morgen oder in einem halben Jahr, das kann ich ihnen nicht sagen.“
Des weiteren führt das Sozialgericht an, warum es keine Hospizpflege gebe:
„Es ist nicht zweifelhaft, dass es sich bei der Klägerin zwar um einen Menschen mit begrenzter Lebenserwartung handelt, nicht jedoch um einen sterbenden Menschen.“ ebd.
Den in einem Hospiz gehe es, sehe ich es richtig, um den klassisch sterbenden Menschen. Also der unheilbare Kranke, der spontan verstirbt, wo eben nicht die Sterbephasen ablaufen, haben keinen Anspruch auf eine hospizliche Betreuung.
Der weitere Weg
Jetzt geht es in die zweite Instanz, vors Landessozialgericht in Erfurt. Ob man ihr auch der Auffassung ist wie das Sozialgericht Altenburg? Wenn ja und es wird hier dasselbe festgestellt, welche Palliativpatienten im fortgeschrittenen Stadium eine hospizliche Betreuung zu stehe und welchen nicht, würde bedeuten, dass vielen Familien mit einem Palliativkind für den notwendigen Aufenthalt im Kinderhospiz keine Hospizpflege zustehe. Weiter gedacht würde es heißen: Es gibt keine ausreichende finanzielle Stütze mehr von den Krankenkassen für hospizliche-palliative Betreuung lebenslimitiert erkrankter Kinder, wenn diese dann das Sozialgerichtsurteil zitieren und so Hospizpflege ablehnen. Ob sich dann die Kinderhospize noch tragen können?
Interessant wäre hier auch die Frage, was das Gericht sagen würde, wenn es um Kinder geht, die schon über ihre Prognose leben. Stünde Ihnen dann auch keine Hospizpflege (mehr) zu? Die besonderen Belange der Kinder und Kinderhospize sind eben, dass häufig die Prognosen nicht einfach auf Wochen oder Monate festschreiben und ihre Prognose überleben. Etwas, was der Gemeinsame Bundesausschuss berücksichtigt bei der spezialisierten Palliativversorgung. Darin heißt es:
„Insbesondere bei Kindern sind die Voraussetzungen für die SAPV als Krisenintervention auch bei einer länger prognostizierten Lebenserwartung erfüllt“ Richtlinie des G‑BA zum SAPV. BAnz. Nr. 39 (S. 911) vom 11.03.2008
Eben auch darum geht es beim Hospizaufenthalt, wenn es als Vorraussetzung für die Hospizpflege heißt:
a.) kurative Therapie ist nicht möglich
b.) palliative medizinische Behandlung ist notwendig oder erwünscht
c.) um Krankenhausbehandlung zu vermeiden oder zu verkürzen
d.) da die ambulante Versorgung nicht reicht wegen des
palliativen-pflegerischen und palliativ-medizinischen Versorgungsbedarfes.
Diese vier Punkte wurden weder von der BKK für Heilberufe und dem MDK geprüft und auch nicht vom Gericht. Es wurde nie erfasst, ob eine instabile häusliche Situation bestand. Letztendlich, da das Kinderhospiz ein wichtiger Teil der Versorgung von Palliativkindern ist, sorgt es eben für die gewünschte palliative medizinische Behandlung, da es die ambulanten Strukturen nicht hergeben. Ein Nein zur Hospizpflege für lebenslimitiert erkrankte Kinder stellt eben auch ein Nein für eine gesicherte Palliativversorgung bei Kindern dar in häuslichen Krisen.
Krise nicht gleich Sterben
Auch geht es bei einem Hospizaufenthalt, ob Erwachsener oder Kind, nicht gleich um die letzten Stunden, sondern um eine Stabilisierung der Palliativsituation und somit der Sicherung von Lebensqualität in der jeweiligen Palliativphase, bis der Mensch stirbt. Viele Familien mit einem todkranken Kind wollen, dass das Kind zu Hause stirbt und dies ist auch häufig wegen dem noch zu bewältigendem Alltag, wie Beruf und Geschwister, sogar eine lebenspraktische Entscheidung. Insbesondere wenn niemand sagen kann, ob der Tod nun heute, morgen oder in einem Jahr sein würde. Die Kinderhospizaufenthalte helfen den Familien, sich diesen Schritt zu nähern und zu bestehen mit den ambulanten Strukturen wie Kinderhospizdienste und Kinderkrankenpflegedienst, bei den es aber auch bundesweit viele Versorgungslücken gibt.
Ungeachtet bleibt vom Sozialgericht aber auch das Kapitel im Versorgungsvertrag des Kinderhospizes, wo wir waren, und den Landesverbänden der Krankenkassen. Darin heißt es, dass anspruchsberechtigte Versicherte eben Kinder und Jugendliche sind, die noch nicht das 19. Lebensjahr vollendet haben und an einer Erkrankung leiden, die lediglich eine begrenzte Lebenserwartung erwarten lässt oder eben im Kindes- und Jugendalter zum Tod führen. Eine Begrenzung auf Wochen oder Monate ergibt sich hier nicht für mich.
Und dann stellt sich die Frage, ab wann ist ein unheilbar erkrankter Mensch mit einer fortgeschrittenen Erkrankung sterbend? Unsere Tochter ist an PCH 2 erkrankt, eine seltene neurologische schwere Erkrankung, die nach aktuellen Erkenntnissen abbauend verläuft. Ist ein abbauender Prozess nicht schon ein Sterben? Allein schon, wenn diese Diagnose gestellt wird, braucht das betroffene Kind und die Familie eine fachgerechte hospizlich-palliative Unterstützung. Denn selbst die Diagnose stellt eine Krise dar: Mein Kind wird sterben, wie kann ich damit leben? Kann ich damit überhaupt leben?
Sterben – lässt sich dies so einfach an einer Prognose von Wochen oder Monaten festmachen bzw. an den Sterbephasen aus dem Lehrbuch? Was ist mit den Menschen, die eben eine Prognose haben, wo plötzlich der Tod eintritt, weil die Erkrankung das Leben schon an einen ”seidenen Faden“ gehängt hat. Gibt es dann rückwirkend Hospizpflege, wenn in der Krise mit Todesfolge das Kinderhospiz aufgesucht wurde? Eigentlich müsste es nach dem Gerichtsbescheid nein heißen, denn der Tod war nicht absehbar.
Ein Nein zur Hospizpflege, wenn Krisen sind, wo die häusliche Situation vor dem Aus steht, eben weil der Tod nicht einfach auf Wochen vorausgesagt werden kann, ist ein Rückschritt für Versorgung von lebenslimitiert erkrankten Kindern. Insbesondere wenn dann noch die Erkrankung lebensbedrohlich verläuft, wie bei einer schweren Epilepsie, die sich (fast) therapieresistent zeigt. So wie es bei unserem Intensivkind auch der Fall ist.