Kinderhospiz & Sozialgericht: Klageabweisungsgründe II.

K

Letz­te Woche habe ich die Grün­de der Kran­ken­kas­se vor­ge­stellt, war­um unse­re Kla­ge um die Hos­piz­pfle­ge für die Auf­ent­hal­te in den Kin­der­hos­pi­zen abge­wie­sen wer­den soll­te vom Sozi­al­ge­richt. Jetzt folgt unse­re Mei­nung dazu, war­um die Kla­ge doch zu zuge­las­sen wer­den sollte:

1. War­um wer­de ein Hos­piz­auf­ent­hal­te eini­ge Zeit im Vor­aus ver­ein­bart? Ger­ne wür­den wir bei Kri­sen sofort ins Kin­der­hos­piz fah­ren. Doch bei über 22.000 Kin­dern mit lebens­li­mi­tie­ren­den Erkran­kun­gen und aktu­ell 9 Kin­der­hos­pi­zen mit 8 — 12 Bet­ten bun­des­weit kann ein Hos­piz­auf­ent­halt sel­ten ad hoc statt­fin­den, hin­zu kommt die unge­klär­te Finan­zie­rung, Ableh­nung der Hospizpflege.

Auf­grund die­ser knap­pen Bet­ten­zahl ist die Auf­ent­halts­dau­er auch begrenzt und es muss vor­ge­plant wer­den. Ist die Anzahl der Tage zur Sta­bi­li­sie­rung nicht aus­rei­chend, so kann ein Auf­ent­halt ver­län­gert wer­den oder es muss sofort ein nächs­ter geplant werden.

In einem Kran­ken­haus mit knap­per Bet­ten­zahl wer­den Pati­en­ten auch nach Prio­ri­tät behan­delt und ent­las­sen bzw. spä­ter wie­der ein­be­stellt. Vie­le not­wen­di­ge Reha­bi­li­ta­ti­ons­maß­nah­men müs­sen ange­kün­digt wer­den aus Kapa­zi­täts­grün­den und sind mit War­te­zeit ver­bun­den, auch bei schwe­ren Erkrankungen.

2. Die Vor­aus­set­zung das „abseh­ba­res Lebens­en­de” sei nicht erfüllt ist anzu­fü­gen: Unse­re Toch­ter ist lebens­li­mi­tie­rend durch die Grund­er­kran­kung erkrankt und es kommt regel­mä­ßig zu lebens­be­droh­li­chen Situa­tio­nen wie zum Bei­spiel durch die Epi­lep­sie oder die aus­ge­präg­ten Schluck­stö­run­gen, wel­che die Lun­ge schädigen.

Bei der Grund­er­kran­kung han­delt es sich um eine abbau­en­de Erkran­kung des Ner­ven­sys­tem im fort­ge­schrit­te­nen Sta­di­um seit der Geburt. Laut ärzt­li­cher Pro­gno­se der Neu­ro­päd­ia­trie kann sie zu jeder Zeit “unvor­ange­kün­digt” ster­ben. Dies bedeu­tet, dass sie jeden Tag ver­ster­ben kann auf­grund der bestehen­den schwe­ren neu­ro­lo­gi­schen Schä­di­gung des Gehirns. Dies ent­spricht einer Pro­gno­se von einer Lebens­er­war­tung von Wochen oder Monaten.

Bei den mir bekann­ten Ver­sor­gungs­ver­trä­gen zwi­schen den Lan­de­spit­zen­ver­bän­den der gesetz­li­chen Kran­ken­ver­si­che­run­gen (auch Lan­des­ver­band der BKK) und dem Kin­der­hos­piz gilt der Anspruch für die Hos­piz­pfle­ge, dass das Kind vor­aus­sicht­lich unter dem 18. Lebens­jahr ver­ster­ben wird. Die Beschrän­kung der Leis­tung “Hos­piz­pfle­ge” auf bestimm­te Pal­lia­tiv­pha­sen ist selbst bei Erwach­se­nen nicht ausreichend.

Das Gesetz weist auf kei­ne bestimm­te Pha­se hin. Pal­lia­tiv­pha­sen kön­nen unter­schied­lich lang ver­lau­fen, je nach Erkran­kung und all­ge­mei­nem Zustand des Pati­en­ten, und es ist sogar mög­lich, dass Pati­en­ten, wel­che als “ter­mi­nal” oder “final” gel­ten, trotz­dem län­ger als erwar­tet wei­ter­le­ben. Gera­de bei Kin­der ist eine genaue Pro­gno­se­stel­lung des zu erwar­ten­den Todes­zeit­punk­tes schwie­rig. Vie­le Kin­der haben schon mehr­fach ihre Pro­gno­se über­lebt, etwas, was der G‑BA beim SAPV berücksichtigt.

Unse­re Toch­ter hat Anspruch auf Hos­piz­pfle­ge, da sie unter ande­rem fol­gen­de Kri­te­ri­en des Geset­zes, des Rah­men­ver­tra­ges und des Ver­sor­gungs­ver­tra­ges erfüllt:

  • a.) kura­ti­ve The­ra­pie ist nicht möglich
  • b.) pal­lia­ti­ve medi­zi­ni­sche Behand­lung ist not­wen­dig oder erwünscht
  • c.) um Kran­ken­haus­be­hand­lung zu ver­mei­den oder zu verkürzen
  • d.) da die ambu­lan­te Ver­sor­gung nicht reicht wegen des pal­lia­ti­ven-pfle­ge­ri­schen und pal­lia­tiv-medi­zi­ni­schen Versorgungsbedarfes.

Alle die­se Punk­te wur­den unse­rer Mei­nung nach weder vom MDK geprüft noch von der BKK für Heil­be­ru­fe befragt.

Durch die schwie­ri­ge häus­li­che Situa­ti­on mit ihren Kri­sen und den hohen Pfle­ge­auf­wand ist die Sta­bi­li­tät gefähr­det. Es kommt immer wie­der zu schwe­ren häus­li­chen Kri­sen mit star­ken Bewusst­seins­ein­trü­bun­gen und Wesens­ver­än­de­rung, eine län­ger anhal­ten­de Pha­se war zum Bei­spiel im Febru­ar 2009, wo alle Betreu­er die Fra­ge stell­ten, ob sie jetzt ster­ben werde.

Es kommt auch regel­mä­ßig zu Kri­sen mit unge­klär­ten Schmerz­zu­stän­den und Bewusst­seins­ver­än­de­run­gen, wie sie eben auch in der letz­ten Pal­lia­tiv­pha­se beschrie­ben wer­den, oder län­ge­ren epi­lep­ti­schen Serien.

Der begut­ach­ten­de MDK hat sein Urteil nur aus der bestehen­de Akten­la­ge geschlos­sen, wel­ches unzu­rei­chend ist. Die Pal­lia­tiv­si­tua­ti­on und die Sta­bi­li­tät kann nicht aus der Fer­ne beur­teilt wer­den. Es kann auch nicht aus der Fer­ne beur­teilt wer­den ohne Rück­spra­che, ob ein Hos­piz­auf­ent­halt zur Ver­mei­dung eines Kran­ken­hau­ses dient. Der MDK-Arzt hat nie Ärz­te vor Ort befragt.

Hin­zu ver­gleicht der MDK unse­rer Mei­nung nach unse­re Toch­ter mit einem Wach­ko­ma-Pati­en­ten. Doch han­delt es sich beim Wach­ko­ma nicht um eine abbau­en­de Erkran­kung, son­dern um eine plötz­li­che Schä­di­gung des Ner­ven­sys­tems durch einen Unfall unter­schied­li­chen Aus­ma­ßes, wel­cher abge­schlos­sen ist.

Von Geburt an hat sich die Erkran­kung ver­schlech­tert, unter ande­rem ist die Epi­lep­sie nur noch par­ti­ell behan­del­bar. Hin­zu lei­det unse­re Toch­ter auf­grund der mas­si­ven Schä­di­gung des Gehirns an sich an einer stark ein­ge­schränk­ten Lebens­qua­li­tät und schwers­ten Mehrfachbehinderung.

Eine noch “tie­fer­ge­hen­de” Ver­schlech­te­rung bedeu­tet der Tod.

Ein Ver­gleich eines pro­gre­di­en­ten Ver­laufs wie bei einer Tumor­er­kran­kung oder einer abbau­en­den Erkran­kung “mit­ten aus dem Leben” wie die Mul­ti­ple Skle­ro­se ist nicht mög­lich, da sie nicht aus einem “Gesund” kam, son­dern schon von Geburt schwer erkrankt ist und sich so in einem Sta­di­um befin­det, nach deren Kri­te­ri­en des SAPV des G‑BA ihr die spe­zia­li­sier­te Pal­lia­tiv­ver­sor­gung zusteht.

Wir sehen die Wür­de unse­rer Toch­ter ver­letzt, da ihr in ihrer schwer kran­ken Lebens­si­tua­ti­on die hos­piz­li­che Pal­lia­tiv­ver­sor­gung aberkannt wird, wel­che zur Siche­rung der Lebens­qu­al­ti­tät aber not­wen­dig ist, auch um Kran­ken­haus­auf­ent­hal­te zu vermeiden.

3. Beim Punkt: Ver­trag­li­cher Ver­stoß, weil wir nicht bei den Hos­piz­auf­ent­hal­ten dabei gewe­sen wären, möch­ten wir anmer­ken. Es wird im Ver­sor­gungs­ver­trag des Kin­der­hos­pi­zes von kei­nem Muss oder Soll gere­det. Wären Eltern oder Ange­hö­ri­ge “ver­pflich­tet“ beim Auf­ent­halt dabei zu sein, so wären ver­wais­te tod­kran­ke Kin­der von der Hos­piz­ver­sor­gung aus­ge­schlos­sen, aber auch Jugend­li­che unter 18 Jah­re, die im Kon­flikt ste­hen mit ihren Eltern. Eine Pflicht wür­de die schwer kran­ken Men­schen ohne Fami­lie ungleichbehandeln.

In einem Kran­ken­haus­auf­ent­halt, wie auch bei der Auf­nah­me in einem Pfle­ge­heim müs­sen die Eltern auch nicht anwe­send sein oder kön­nen es nur teil­wei­se, da zum Bei­spiel Inten­siv­sta­tio­nen nur einen ein­ge­schränk­ten Auf­ent­halt mög­lich machen.

Unse­re Toch­ter, auf­grund der Schwe­re ihres Krank­heits­bil­des, wird immer auf der Inten­siv­sta­ti­on auf­ge­nom­men. Hin­zu wur­de im ers­ten Kin­der­hos­piz­auf­ent­halt die Über­nah­me der Kos­ten der Begleit­per­son von der BKK für Heil­be­ru­fe abge­lehnt, womit ver­mut­lich die Kran­ken­kas­se selbst deren Not­wen­dig­keit die­ser „Rege­lung“ nicht einsieht.

Wenn die Kran­ken­kas­se nicht die Kos­ten der Begleit­per­son über­nimmt, stellt sich uns die Fra­ge, wie weit sie aus daten­schutz­recht­li­chen Grün­den über Kennt­nis­se ver­fü­gen darf, ob und wel­che Ange­hö­ri­ge unser Kind beglei­ten in einem Kin­der­hos­piz. Möch­te die Kran­ken­kas­se, dass der Ver­trag in die­sem Sin­ne erfüllt ist, dann sol­le sie die Kos­ten der Begleit­per­son auch übernehmen.

Ist unse­re Anwe­sen­heit von gericht­li­chem Inter­es­se, so kann das Gericht unse­re Beglei­tung in den betrof­fe­nen Kin­der­hos­pi­zen in Erfah­rung bringen.

4. Betreff, wir sei­en nicht als Lai­en­hel­fer zu sehen wegen unse­rem beruf­li­chen Hin­ter­grund. Eltern sind aber als Lai­en­hel­fer zu betrach­ten. Eine Aberken­nung von Leis­tun­gen der Kran­ken­kas­se weil die Betrof­fe­nen “vom Fach” sind, ist eine Ungleich­be­hand­lung und stellt eine Leis­tungs­min­de­rung auf­grund des Anse­hen der Per­son dar. Allein wegen der beruf­li­chen Tätig­keit des Ver­si­che­rungs­neh­mers kann nicht die Leis­tung ein­ge­schränkt oder erwei­tert wer­den, solan­ge ein Gesetz die­ses nicht vorsieht.

Die hos­piz­li­che-pal­lia­ti­ve Ver­sor­gung ist eine inter­dis­zi­pli­nä­re Kom­plex­ver­sor­gung von ver­schie­dens­ten Berufs­grup­pen. Dazu zäh­len unter ande­rem Fach­pfle­ge­kräf­te mit Pal­lia­tiv­aus­bil­dung, Fach­ärz­te, Psy­cho­lo­gen, geist­li­che Betreu­er unter­schied­lichs­ter Kon­fes­si­on und auch Heilmittelerbringer.

Nur weil wir Eltern einen medi­zi­ni­schen Hin­ter­grund haben, kann man nicht schluss­fol­gern, wir meis­tern die hos­piz­li­che Pal­lia­tiv­ver­sor­gung, die Ster­be­be­glei­tung und den Tod unse­rer Toch­ter alleine.

Beim Pfle­ge­dienst oder dem Kin­der­gar­ten han­delt es sich nicht um eine hos­piz­li­che-pal­lia­ti­ve Betreu­ung. Die häus­li­che Kran­ken­pfle­ge rich­tet sich nach der Siche­rung der medi­zi­ni­schen Behand­lung des Arz­tes. Unser Pfle­ge­dienst leis­tet unter ande­rem kei­ne psy­cho­so­zia­le Betreu­ung und auch kei­ne spe­zia­li­sier­te Palliativversorgung.

Eine spe­zia­li­sier­te ambu­lan­te Pal­lia­tiv­ver­sor­gung (SAPV) für Kin­der gibt es in Jena nicht, wodurch ein Auf­ent­halt in einem Kin­der­hos­piz noch dring­li­cher ist in Kri­sen und um die häus­li­che Situa­ti­on zu stabilisieren.

Aber auch eine ambu­lan­te Pal­lia­tiv­ver­sor­gung hat ihre Gren­zen und es kann ein Hos­piz­auf­ent­halt zur Sta­bi­li­sie­rung und Ent­las­tung der häus­li­chen Situa­ti­on not­wen­dig wer­den. Ins­be­son­de­re dann, wenn eigent­lich ein Kran­ken­haus­auf­ent­halt not­wen­dig sein wür­de wie bei schwe­ren epi­lep­ti­schen Kri­sen, aber der durch die spe­zia­li­sier­te Betreu­ung durch ein sta­tio­nä­re Hos­piz ver­mie­den wird.

5. Vom MDK bzw. von der BKK für Heil­be­ru­fe wur­de unse­rer Mei­nung nach die häus­li­che Situa­ti­on nie nach­weis­bar erfasst, son­dern die Hos­piz­pfle­ge wur­de nur nach der Maß­ga­be “Final­pha­se” abgelehnt.

Ein Fern­gut­ach­ten kann die Sta­bi­li­tät des Krank­heits­zu­stan­des nicht erfas­sen und auch nicht, ob tech­ni­sche Hilfs­mit­tel das Leben ver­län­gern oder hel­fen, eine gewis­se Lebens­qua­li­tät her­zu­stel­len, trotz der Krisen.

Durch den Ein­satz oder Nicht­ein­satz von tech­ni­schen Hilfs­mit­teln kann nicht auf einen sta­bi­len Krank­heits­zu­stand geschlos­sen wer­den. Der Zustand eines Pati­en­ten kann, trotz aller Medi­zin­tech­nik, insta­bil sein und bleiben.

Die bei unser Toch­ter ein­ge­setz­ten Hilfs­mit­tel kön­nen die Kri­sen, insta­bi­le häus­li­che Situa­tio­nen wie auch ihre schlech­te Pro­gno­se und somit Tod nicht verhindern.

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by dirkstr

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