Aus meiner Erfahrung muss bei der Verordnung eines Hilfsmittels immer die/der Hilfsmittelanwender_in in den Blick genommen werden. Also die Person, welche das Hilfsmittel bedient. Dies können neben dem Patienten die Angehörigen oder die Pflegekräfte sein
Die Notwendigkeit eines Hilfsmittel richtet sich somit nach der Indikation, warum wird es benötigt, nach den Fähigkeiten des erkrankten /behinderten Menschen wie auch der/dem Anwenderin:
- Kann der Betroffene oder die/der Anwender_in das Hilfsmittel nicht oder nur unzureichend bedienen, wird das Hilfsmittel nicht eingesetzt. Dazu zählt neben der technischen Bedienung auch die Handhabung und der Körper- oder Krafteinsatz. Zum Beispiel, wenn der Rollstuhl gefahren wird.
- In welchen Verhältnis steht der Zeitaufwand für die Vorbereitung der Hilfsmittelnutzung gegenüber der Nutzungszeit des Hilfsmittels. Wenn die Vor- und Nachbereitung zu lange dauert, besteht eine hohe Neigung, dass Hilfsmittel nicht einzusetzen, insbesondere wenn der therapeutische Nutzen nicht klar erkennbar ist.
- Nicht zu unterschätzen ist die Ästhetik eines Hilfsmittels. Viele Angehörige oder Betroffene nehmen die Behinderung nicht gleich gut an und verbinden oder erleben sie als eine Verschlechterung der Lebensqualität. Andere erleben die Behinderung als einen Mangel, wodurch sie sich nicht ins öffentliche Leben trauen. Wenn ein Hilfsmittel aufgrund dessen Designs, die Behinderung „betont“, kann es diese Lebenseinstellung und den damit verbundenen Erleben verstärken und zu einer Ablehnung des Hilfsmittels führen.
Wer ohne Mitsprache der Pflegenden /Angehörigen und des Betroffenen über dessen Hilfsmittel entscheidet, entscheidet letztendlich auch über die Lebensqualität des Betroffenen und seiner Familie. Es ist eine hohe Verantwortung.
Ist diese These gewagt? Nein, ist sie nicht. Denn es ist üblich und rechtlich richtig in Deutschland, die Ärztin /der Arzt verordnet das Hilfsmittel. Die Ärzteschaft entscheidet somit darüber, was wäre der „angenommene“ Bedarf an Hilfsmitteln für seinen Patienten, um zum Beispiel eine Behinderung auszugleichen. Die Ärztin/der Arzt muss es auch vor dem medizinischen Dienst begründen.
Vor kurzem musste ich erfahren bei einer Familie, wie diese Hypothese seine Wahrheit erfuhr. Einer Patientin, welche täglich Pflegedienst hat, wurde von seitens der Ärztin ein Rollstuhl mit elektrischen Antrieb abgelehnt. Die Begründung war, der bestehende Rollstuhl sei noch gut und leicht genug zum schieben und wenn noch das Outdoor-Rad vorne anmontiert wird, wäre der Rollstuhl noch leichter zu fahren.
Okay? Das Problem, warum der Antrieb gebraucht wird, wurde vermutlich nicht wahr genommen:
- die Patientin wohnt auf halber Höhe eines Berges mit starken Anstieg
- die Patientin wiegt zusammen mit dem Rollstuhl, allen Hilfsmitteln am Rollstuhl, mindesten über 40 Kilogramm, wenn nicht sogar mehr
- der elektrische Antrieb hilft nicht nur bergauf, sondern mit der Motorbremse bergab und gibt damit Fahrsicherheit
Das Ergebnis dieser Entscheidung ist aktuell: Der tägliche Spaziergang, die Mobilität draußen wird kaum noch vollzogen. Denn für die meisten vom Pflegedienst kann der bestehende Rollstuhl nicht gut bergauf oder bergab bewegt werden. Ausflüge mit der Schule scheitern, wenn die Wege bergauf gehen. Somit kommt das betroffene Kind mal kurz vors Haus, um „Luft zu schnappen“; mehr auch nicht. Die Lebensqualität, die Teilhabe am Leben der anderen wird somit eingeschränkt.
Dem erkrankten Menschen ist nicht geholfen, wenn die/der Ärztin/Arzt die Angehörigen oder Pflegenden nicht in der Entscheidung über ein Hilfsmittel berücksichtigt. Es kann sogar den ärztlichen Behandlungsplan gefährden und somit die Lebensqualität des erkrankten Menschen deutlich verschlechtern. Dieser Grundsatz, die Einbindung der Angehörigen und Pflegenden, gilt somit auch für andere Therapien, wo die Angehörigen und Pflegenden mit helfen.