Verordnung vom Hilfsmittel: Der Anwenderbedarf zählt!

Kinderbett beengtAus mein­er Erfahrung muss bei der Verord­nung eines Hil­f­s­mit­tels immer die/der Hilfsmittelanwender_in in den Blick genom­men wer­den. Also die Per­son, welche das Hil­f­s­mit­tel bedi­ent. Dies kön­nen neben dem Patien­ten die Ange­höri­gen oder die Pflegekräfte sein

Die Notwendigkeit eines Hil­f­s­mit­tel richtet sich somit nach der Indika­tion, warum wird es benötigt, nach den Fähigkeit­en des erkrank­ten / behin­derten Men­schen wie auch der/dem Anwen­derin:

  • Kann der Betrof­fene oder die/der Anwender_in das Hil­f­s­mit­tel nicht oder nur unzure­ichend bedi­enen, wird das Hil­f­s­mit­tel nicht einge­set­zt. Dazu zählt neben der tech­nis­chen Bedi­enung auch die Hand­habung und der Kör­p­er- oder Kraftein­satz. Zum Beispiel, wenn der Roll­stuhl gefahren wird.
  • In welchen Ver­hält­nis ste­ht der Zeitaufwand für die Vor­bere­itung der Hil­f­s­mit­tel­nutzung gegenüber der Nutzungszeit des Hil­f­s­mit­tels. Wenn die Vor- und Nach­bere­itung zu lange dauert, beste­ht eine hohe Nei­gung, dass Hil­f­s­mit­tel nicht einzuset­zen, ins­beson­dere wenn der ther­a­peutis­che Nutzen nicht klar erkennbar ist.
  • Nicht zu unter­schätzen ist die Ästhetik eines Hil­f­s­mit­tels. Viele Ange­hörige oder Betrof­fene nehmen die Behin­derung nicht gle­ich gut an und verbinden oder erleben sie als eine Ver­schlechterung der Leben­squal­ität. Andere erleben die Behin­derung als einen Man­gel, wodurch sie sich nicht ins öffentliche Leben trauen. Wenn ein Hil­f­s­mit­tel auf­grund dessen Designs, die Behin­derung „betont“, kann es diese Leben­se­in­stel­lung und den damit ver­bun­de­nen Erleben ver­stärken und zu ein­er Ablehnung des Hil­f­s­mit­tels führen.

Wer ohne Mit­sprache der Pfle­gen­den / Ange­höri­gen und des Betrof­fe­nen über dessen Hil­f­s­mit­tel entschei­det, entschei­det let­z­tendlich auch über die Leben­squal­ität des Betrof­fe­nen und sein­er Fam­i­lie. Es ist eine hohe Verantwortung.

Ist diese These gewagt? Nein, ist sie nicht. Denn es ist üblich und rechtlich richtig in Deutsch­land, die Ärztin / der Arzt verord­net das Hil­f­s­mit­tel. Die Ärzteschaft entschei­det somit darüber, was wäre der „angenommene“ Bedarf an Hil­f­s­mit­teln für seinen Patien­ten, um zum Beispiel eine Behin­derung auszu­gle­ichen. Die Ärztin/ der Arzt muss es auch vor dem medi­zinis­chen Dienst begründen.

Küchentisch beengt

Vor kurzem musste ich erfahren bei ein­er Fam­i­lie, wie diese Hypothese seine Wahrheit erfuhr. Ein­er Pati­entin, welche täglich Pflege­di­enst hat, wurde von seit­ens der Ärztin ein Roll­stuhl mit elek­trischen Antrieb abgelehnt. Die Begrün­dung war, der beste­hende Roll­stuhl sei noch gut und leicht genug zum schieben und wenn noch das Out­door-Rad vorne anmon­tiert wird, wäre der Roll­stuhl noch leichter zu fahren.

Okay? Das Prob­lem, warum der Antrieb gebraucht wird, wurde ver­mut­lich nicht wahr genommen:

  • die Pati­entin wohnt auf hal­ber Höhe eines Berges mit starken Anstieg
  • die Pati­entin wiegt zusam­men mit dem Roll­stuhl, allen Hil­f­s­mit­teln am Roll­stuhl, min­desten über 40 Kilo­gramm, wenn nicht sog­ar mehr
  • der elek­trische Antrieb hil­ft nicht nur bergauf, son­dern mit der Motor­bremse bergab und gibt damit Fahrsicherheit

Das Ergeb­nis dieser Entschei­dung ist aktuell: Der tägliche Spazier­gang, die Mobil­ität draußen wird kaum noch vol­l­zo­gen. Denn für die meis­ten vom Pflege­di­enst kann der beste­hende Roll­stuhl nicht gut bergauf oder bergab bewegt wer­den. Aus­flüge mit der Schule scheit­ern, wenn die Wege bergauf gehen. Somit kommt das betrof­fene Kind mal kurz vors Haus, um „Luft zu schnap­pen“; mehr auch nicht. Die Leben­squal­ität, die Teil­habe am Leben der anderen wird somit eingeschränkt.

Dem erkrank­ten Men­schen ist nicht geholfen, wenn die/der Ärztin/Arzt die Ange­höri­gen oder Pfle­gen­den nicht in der Entschei­dung über ein Hil­f­s­mit­tel berück­sichtigt. Es kann sog­ar den ärztlichen Behand­lungs­plan gefährden und somit die Leben­squal­ität des erkrank­ten Men­schen deut­lich ver­schlechtern. Dieser Grund­satz, die Ein­bindung der Ange­höri­gen und Pfle­gen­den, gilt somit auch für andere Ther­a­pi­en, wo die Ange­höri­gen und Pfle­gen­den mit helfen.

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