Hilfsangebote fürs behinderte Kind, ein Hürdenlauf

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Frau­en, die ein behin­der­tes Kind erwar­te­ten, müss­ten alle Hilfs­an­ge­bo­te ken­nen und wis­sen, dass Behin­de­run­gen ein erfüll­tes Leben nicht ausschließen.“

äußer­te die Minis­te­rin Zypries, indi­rekt wie­der­ge­ge­ben im Tages­spie­gel vom 9.11.2008 (“Zypries gegen Geset­zes­än­de­rung für Spät­ab­trei­bun­gen”). Doch küm­mern wir uns jetzt mal nicht um das gesam­te Zitat, son­dern nur um die Aus­sa­ge: „Hilfs­an­ge­bo­te ken­nen und wis­sen“. Die­se Äuße­rung ist gut, da es eini­ge wich­ti­ge Hil­fen gibt, und es klingt gut, wenn man es all­ge­mein hält. Doch, und so ist die Regel, um ein Hilfs­an­ge­bot wahr­neh­men zu kön­nen, tref­fen die Eltern häu­fig auf büro­kra­ti­scher Hür­den, die sich “defi­nie­ren” über eine Abhän­gig­keit vom „gewis­sen“ Grad oder Art der Behin­de­rung oder der Schwe­re der Erkran­kung des Kin­des. Doch um die Hil­fen erfas­sen zu kön­nen, bedarf es erst­mal Lek­ti­on eins:

Wie ist unser Gesundheitssystem aufgebaut

Dabei reicht es nicht mehr aus, zu wis­sen: Ich gehe zu mei­ner Kran­ken­kas­se und die regeln das. Die Kran­ken­kas­se deckt nur einen Teil der Hil­fen bei Behin­de­rung ab, eben die medi­zi­nisch not­wen­di­gen The­ra­pien. Aber, und das ist bei behin­der­ten Kin­dern das A und O, in der För­de­rung spie­len noch ande­re „Sozi­al­kas­sen“ eine zu leis­ten­de Rol­le. Und mög­lichst früh, also schon im Säug­lings­al­ter soll­te sie begin­nen, die Früh­för­de­rung. Die Kran­ken­kas­sen ist hier nur zum Teil zustän­dig, der ande­re Kos­ten­trä­ger ist das Sozi­al­amt. Muss man erst­mal wis­sen. Und ein drit­ter Part ist das Jugend­amt, was mit­spielt bei der Ver­sor­gung vom Kind. Die­se Lek­ti­on war sicher­lich leicht zu ver­ste­hen, somit kommt Lek­ti­on zwei:

Welche Ansprüche habe ich und gegenüber wen kann ich sie geltend machen

Und da wird es schon schwie­rig, wenn nicht sogar knif­fe­lig. Am Anfang bekommt man viel­leicht noch raus, wenn man es erfährt, was es für Hil­fen gibt und wo man den Antrag stel­len kann, wie: Die Pfle­ge­stu­fe bei der Pfle­ge­kas­se, die Behand­lungs­pfle­ge bei der Kran­ken­kas­se und die Hil­fe zur Pfle­ge beim Sozi­al­amt. Aber mit dem Antrag kommt die Fra­ge: Erfüllt das Kind, die Schwe­re der Behin­de­rung und Erkran­kung eigent­lich die Vorraus­set­zun­gen dafür? Und da wird es eben knif­fe­lig, wo selbst der „Pro­fi“ nicht ein­deu­tig ein Ja oder Nein sagen kann. Es gibt, je nach Fall, Richt­li­ni­en, unter­schied­lichs­te Gut­ach­ter und Recht­spre­chun­gen und ent­spricht das Ergeb­nis des jewei­li­gen Amtes nicht dem „Begeh­ren nach Hil­fe“, ent­schei­det am Ende noch das Sozi­al­ge­richt über den Anspruch.

So sieht also ein Exkurs aus, wenn man lernt um die Hilfs­an­ge­bo­te zu wis­sen. Dabei wird ein Aspekt über­se­hen: Die Über­for­de­rung der Eltern, wenn sie ein behin­der­tes Kind „bekom­men“. Es ist eine Kri­se. Sicher­lich, man kann am Anfang medi­zi­nisch vie­les erst­mal abklä­ren und dort ver­su­chen eine Basis zu schaf­fen. Je nach gesund­heit­li­chen Pro­ble­men, die das Kind hat, heißt es aber auch: Spe­zi­al­kli­nik. Dies mag für eine erst­ge­bä­ren­de Mut­ter viel­leicht gut regel­bar sein. Aber wenn zu Hau­se noch zwei Geschwis­ter war­ten, die ihre Mut­ter wie­der sehen möch­ten, wird es schon schwie­ri­ger. Es ist kei­ne Zeit, um sich über Hil­fen zu bele­sen, son­dern wer die Hil­fen ken­nen muss ist das Per­so­nal am Kran­ken­bett, die Kin­der­kran­ken­schwes­ter, der Arzt oder auch die Sozi­al­ar­bei­te­rin des Hau­ses. Denn so ist schon ein Knack­punkt zu lösen: Wie kann die Betreu­ung der Kin­der gewähr­leis­tet wer­den, wenn die Mut­ter mit dem Neu­ge­bo­re­nen in der Kli­nik blei­ben muss. Bezahlt dies die Kran­ken­kas­se oder ist hier das Jugend­amt zuständig?

Und Über­for­de­rung bedeu­tet bei den Eltern auch, dass sie kei­ne Kraft haben, sich um Hil­fen zu küm­mern, ins­be­son­de­re wenn ein Anspruch, ein Recht auf eine Leis­tung, immer noch mit dem Bitt­stel­len eins zu eins ist. Geneh­migt es der Sach­be­ar­bei­ter, der über die Aus­ga­ben sei­nes Amtes „regiert“, dann hat man Glück. Hat man Pech, dann wird die „begehr­te“ Leis­tung abge­lehnt. Dabei ist, wie oben schon erwähnt, es manch­mal sogar schwie­rig zu sagen, ob die Ableh­nung nun gerecht­fer­tigt ist oder nicht. Zumin­dest geht dann bei den Eltern der büro­kra­ti­sche Weg erst rich­tig los, ein Hür­den­lauf. Denn so mei­nen ande­re Eltern, hier habt Anspruch dar­auf. Dies sagt auch der Arzt und eine erfah­re­ne Päd­ago­gin aus der Früh­för­de­rung. Die Eltern sind stut­zig, wer hat nun recht und lohnt sich die­ser Hür­den­lauf denn über­haupt. Dabei hilft es aber auch nicht den Eltern zu sagen: der Sach­be­ar­bei­ter hat sich viel­leicht geirrt, da eine neue Richt­li­nie bei ihm noch nicht auf dem Tisch lag oder er hat den Sach­ver­halt nicht ganz ver­stan­den. Es fehl­te viel­leicht ein wich­ti­ger, aus­schlag­ge­ben­der Grund, der ver­ges­sen wur­de im Antrag zu erwäh­nen. Doch für die Eltern bleibt: Das Recht auf die Leis­tung wur­de abge­lehnt und in Wider­spruch zu gehen ist eine Über­win­dung, eine wei­te­re Last in der eh schon belas­ten­den häus­li­chen Lebenssituation.

Sicher­lich, und dies ist den mir bekann­ten Eltern auch bewusst: Behin­de­rung schließt ein erfüll­tes Leben nicht aus. Anders über­setzt: Behin­de­rung nicht gleich minus in Lebens­qua­li­tätoder noch anders gesagt, ob man sich in sei­ner Haut und Lebens­si­tua­ti­on wohl fühlt ist nicht gleich davon abhän­gig, wel­che Han­di­caps bestehen. Aber es ist ein Stück weit abhän­gig, auf wel­che Bar­rie­ren Men­schen mit ande­ren Fähig­kei­ten sto­ßen. Denn Bar­rie­ren bedeu­ten eine Ver­rin­gern der Chan­cen­gleich­heit in der Teil­ha­be und schaf­fen eine „geson­der­te“ Wahr­neh­mung von der Gesell­schaft, als sei ein Han­di­cap gleich der sozia­le Tod. Und was nützt es dem Kind, wenn die Eltern auf­grund der Pfle­ge und durch das Kämp­fen für eine gute Lebens­qua­li­tät, am Ende selbst nur noch ein gesund­heit­li­ches Frack sind und für die Pfle­ge voll­stän­dig aus­fal­len, was dann bei den „Sozi­al­kas­sen“ erst recht Kos­ten erzeugt. Die­ser Aus­fall eben, weil sie kei­ne Kraft mehr haben um jede Hil­fe­leis­tung vom Amt erst wie­der bit­ten zu müs­sen statt ihnen jemand zur Sei­te zu stel­len, der sie auf­klärt, was in die­ser Lebens­si­tua­ti­on für Hil­fen bestehen und die Eltern fragt, wel­chen Bedarf sie haben. Ja und bei die­sem letz­ten Satz kom­men sicher­lich gleich wie­der die, die mei­nen: Das kostet …

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by dirkstr

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