In der Intensivpflege, ob ambulant oder stationär, ist die Angst für die Eltern ein großes Thema. Die Angstmomente zählen mehr als Glücksmomente. Kann es auch anders sein?
Glücksmomente, wow, das klingt für mich nach Wellness, nach einer Zeit, die weit weg liegt. Und letzten Freitag kam ein Brief vom Kinderhospiz mit der Idee über Glücksmomente.
Kurz gesagt, sie haben die Idee von den Kinderhospizfamilien die (kleinen) Glücksmomente zu sammeln und wieder zu verteilen über einen Newsletter.
Die Intention ist nett, ja, dem stimme ich zu: Um dieser schwierigen Zeit, die durch die Coronavirus-Pandemie bestimmt wird, Leichtigkeit zu schenken.
Es ist eine Zeit, die für viele Familien schwierig ist, wenn sie plötzlich 24 Stunden täglich zu Hause sind und keiner den anderen aus dem Weg gehen kann.
Stopp, jetzt steige ich aus.
Glücksmomente und die Angst mit der Intensivpflege
Ja, „Glücksmomente“ erlebbar zu machen, greift eine Säule für die psychische Gesundheit auf und der Resilienz.
Dem setze ich entgegen: Wir sind durch die außerklinische Intensivpflege in Jena ständig, anhaltend seit Jahren in einer extremen Situation mit Isolation. Diese Pandemiezeit verändert sie, ja. Sie verschärft sie.
Es sorgt für mehr Angstmomente, da
- es anhaltend Ausfälle gibt beim Pflegepersonal;
- ich mitbekomme, wie die Kliniken aktuell mit den Pflegefachkräften umgehen; ich bekomme Angst, dass mehr Pflegekräfte aus dem Pflegejob aussteigen wollen (Pflexit);
- der Brief von einem Kinderhospiz kam für die Termine der Entlastungsaufenthalte im nächsten Jahr; sie sagen, es gibt wie 2020 wieder keinen für 2021.
Da drücken die Angstmomente im Kopf, im Bauch. Wie soll ich, wie sollen die Familien mit einem Intensivkind, diese Intensivpflege zuhause weiter stemmen?
Es ist keine Entlastung in Sicht.
Es wirkt die Angst, für mich wieder, in ein Burnout, eine Depression zu fallen.
Glücksmomente und die Depression
In einer Depression hilft mir keine Erzählung über die kleinen, bunten Momente, die unser Herz öffnen sollen und ich lächle.
Ja, es ist eine Aufgabe in der Hospizarbeit, diese kleinen Momente aufzuzeigen. Sie können und sollen helfen, um Kraft zu schöpfen, um zu erfahren: Das Leben hat was, trotz dem Leid ums Lebensende. Es ist wertvoll.
Ich würde bei diesen nicht von Glücksmomenten reden. Denn Glück ist für mich nicht greifbar. Es ist etwas Abstraktes, was, wenn man es besäße, unendliches Wohlsein prophezeit.
Glück wirkt eher flüchtig, kurz und teilbar ist es nicht. Denn Emotionen, die Gefühle entstehen in mir allein. Ob es die Freude ist oder die Angst.
Der andere ist für meine Gefühle nur der Auslöser, der an meinem Triggerpunkt dieses jeweilige Gefühl berührt.
Mich kann es berühren, wenn andere sich freuen. Mich kann es auch kalt lassen. Oder ich fühle mich nicht wohl und erlebe nur Enge, die mich schwer atmen lässt.
Ja, es geht um das Wohlsein. Doch Wohlsein ist mehr als: Ich bin glücklich oder voller Freude, voller Euphorie.
Ich kann mich wohlfühlen und doch auch traurig sein, da ich dabei eine große Ruhe spüre. Es ist eine Ruhe, dir mir erzählt, wie sich Wohlsein anfühlt.
Viele kennen vielleicht die Erzählung bei schwer depressiven Menschen mit Suizidgedanken. Sie suchen Ruhe, sie suchen endlich Frieden.
Der Frieden ist kein Glücksmoment. Der Frieden ist ein Wohlsein. Ich fühle mich ruhig und entspannt.
Ich kann keinen Frieden erleben, wenn ich ständig ängstlich bin, jeden Tag könnte die Pflegekraft ausfallen.
Weil sie oder ihr Kind in Quarantäne muss, weil ihre Kinder nicht in die Schule dürfen. Weil sie selbst erkrankt, sei es eine Erkältung mit Fieber.
Intensivpflege zu Hause und die Entlastung
Ich kann einen Frieden erfahren, wenn die pflegerische Unterstützung stabil ist und ich weiß: Wir können bald ins Kinderhospiz zum Entlastungsaufenthalt.
Doch diese Entlastungsaufenthalte sind selten geworden. Ein Grund sei der Pflegepersonalmangel, der Pflegenotstand.
Ein anderer Grund ist sicherlich, es gibt mehr Familien, die dieser Entlastungsaufenthalte bedürfen und die Hospize aufsuchen als vor mehreren Jahren.
Dabei gilt: Ich kann die Belastungen mit der Intensivpflege nicht durch Erzählen loswerden. Ich kann sie, vielleicht, anders einordnen, dass deren Last mich weniger drückt und ich an ihr und deren damit verbundenen Gefühlen nicht ersticke.
Ich muss, es gilt das Muss, lernen mit der unauflösbaren Belastung zu leben, was es bedeutet für ein schwer und lebensbedrohlich erkranktes Kind verantwortlich zu sein.
Das habe ich in mehreren Gesprächen gelernt.
Ich hörte sogar wiederholt von anderen, auch wenn die Pflege nicht mehr zu Hause stattfindet, sondern in einem Heim oder Intensiv-WG: Die Eltern fühlten sich nicht besser, insbesondere wenn die Pflege anders arbeitet als gewünscht und notwendig.
Dies ist traurig, denn wenn die häusliche Intensivpflege zu einer Überlastung führt, erfordert es eine sichere Entlastung wie in einer Intensivpflege-WG.
Belastung und Angst ums Leben
Verschärft und schafft die lebensbedrohliche Erkrankung bei unserem Intensivkind die Angst?
Vielleicht ja, denn immer schwingt mit, wenn es Krisen gibt, ob wir das bestmöglich für unsere Tochter getan haben und machen. Es schwingt mit die unauflösbare Frage: Was ist das Beste?
Es könnte ein „Glücksmoment“ sein, wenn wir eine Krise gut gelöst haben und den bestmöglichen Weg darin gefunden haben. Es könnte. Doch schlägt nach einer Krise eher die Erschöpfung zu als ein wohliges Gefühl über „Was für ein schöner Tag“.
Es war mit der Krise kein schöner Tag und es ist kein schöner Tag
Die Last eines solchen Tages kann niemand abnehmen. Es ist wie ein Trauma, dass vorhanden ist und getragen werden muss. Ein Trauma, wo ich immer wieder hoffe, daran zu wachsen.
Die Angstmomente, die bestanden, können nicht getauscht werden mit „Glücksmomenten“.
Die Stories von anderen in der Krise prallen von mir ab. Das Erzählte, was sie Berührendes erlebten, wo ihr Herz aufging wie beim verlieben und sie lächeln mussten.
Schade. Doch erzähl mir, wie ergeht es dir, wenn du erschöpft bist und bereichern dich dann die schönen Momente, die andere erleben? Erleichtern diese deine Erschöpfung?