Die Hilde fragte mich schon häufiger, warum ich denn den Doc vom Fritz nie wechseln würde. Ich schwieg dazu, ich bin ihr keine Antwort schuldig. Aber ich konnte es auch nicht erklären. Wenn ich Fritz’ Arzt sah, da wusste ich immer, ich lege ihn in die richtigen Hände, die wissen, was sie machen müssen. Er bastelt nicht zu viel an Fritz’ Situation und er stellt auch nicht die Frage, ob wir zu wenig machen. Ja, es stimmt schon, er sieht auch nie einen Kompromiss, etwas zu Hause zu meistern, mit jedem Problem weist er den Jungen in die Klinik ein. Aber trotzdem, es ist diese Ahnung, er sei der richtige Arzt.
Der Notarzt ließ wieder auf sich warten. Die Retter dagegen waren so schnell, kurz nach dem Anruf standen sie vor der Tür, als hätten sie unten am Hauseingang nur darauf gewartet, als hätten sie es gewusst, der Fritz, der macht heute Probleme. Sie betraten die Wohnung und gleich zog eine Kälte, etwas Unnatürliches mit ein. Die Hände, ich wusste nie, reicht man sich die Hand oder bleibt es beim Hallo; ich wusste nie, ob ich alles richtig mache, ob ich es richtig erkläre. Der Junge ist heute anders, ganz anders als sonst. Sein Kinderarzt, der kommt nicht, erklärte ich den beiden Rettern. Fritz’ Krankenschwester wusste auch nichts zu sagen. Sie schaute drein, als wolle sie gleich los heulen, in ihren Augen standen die Tränen bis kurz vorm Überlauf. Wenn sie den Fritz mitnehmen, dann kann ich sie eh nicht gebrauchen und ich schickte sie aufs Sofa im Wohnzimmer, sie solle warten. Ich brauchte Platz um Fritz, mir reichten schon die Sanitäter, wie sie vor dem Bett ihre Technik auspackten. Sie fragten, ob der Junge auch kurzzeitig ohne Beatmung sein könne, die Fahrt über. Ich verneinte. Dann müssten sie ihr Gerät anschließen. Ich verneinte nochmals. Seine Beatmung sei auf ihn eingestellt. Ich wusste noch, sie starrten mich an, als hätte ich sie angeschrien. Meine Hände zitterten und ich streichelte über Fritz, sein heißes Gesicht. “Hatten sie schon Fieber gemessen”, fragte einer der beiden. Ich zuckte zusammen. Fieber, das sollte die Schwester messen. Wozu ist sie denn da? Doch ihr stand nicht nur das Wasser in den Augen, sie war weiß im Gesicht, als ich sie ansprach. Sie bewegte sich nicht, sie sagte nichts. Am liebsten hätte ich ihr gesagt: Fritz, er ist nicht tot. Ich wusste nicht, ob ich das Wort “noch” einfügen darf, in mir zitterte es, wenn es doch seine letzte Stunde ist. Im Kopf war ich plötzlich klar, jeder Gedanke, jedes Wort wirkte wie schon vollendet gedacht, als gäbe es keine Alternative, keinen anderen Weg. 40,1 hieß es dann von den Rettern, und hatte er schon früher solche Zustände, war dann die Frage. Ich legte die Frage beiseite, starrte auf Fritz. 40,1, ich strich über seine Stirn, sie suchten an ihm und stachen dann in eine Vene, hingen ihn an eine Leitung tropfendes Wasser. Ich schaute nur zu, ich schaute auf den Monitor, doch alle Zahlen verwischten zu einem Grün. Ich versuchte die Zeit anzuhalten, versuchte Fritz fest zu halten. Er solle bleiben, bei mir. Der Notarzt trat ein und einer der Retter schob mich beiseite. Er hörte Fritz’ Brust ab, redete was von Diazepam, ob und wann und hatte der Junge schon mal einen epileptischen Anfall. Ich nickte. Der Arzt und ein Sanitäter packten Fritz, der andere die Maschine und zogen mich hinterher in die Rettungswagen. Als ich im Wagen saß, das Horn los heulte, konnte plötzlich ich beim Atmen kaum die Brust heben, den Bauch, als sei ich eingequetscht, alles steckte fest in mir.