Charlott 2 (v)

Der Ret­tungswa­gen kam schneller, als ich erwartet hat­te. Fritz lag da, alle Muskeln waren anges­pan­nt, steif. Eigentlich ist der Bub immer lock­er, zu lock­er, wie die Ther­a­peuten meinen. Und dann flim­merten seine Augen­lid­er. Zuerst hat­te ich den Kinder­arzt angerufen, doch der stot­terte nur herum. Er könne eh nichts machen, vielle­icht ein Anfall, ein epilep­tis­ch­er, und seine Prax­is sei ger­ade voll. Wie, er könne eh nichts machen? Doch darauf antwortete er nicht, wie immer. Stellt man Rück­fra­gen, dann fol­gt die Stille. Ich legte auf, ich hat­te keine Lust, auf eine leere Aus­sage zu treffen.

Die Hilde fragte mich schon häu­figer, warum ich denn den Doc vom Fritz nie wech­seln würde. Ich schwieg dazu, ich bin ihr keine Antwort schuldig. Aber ich kon­nte es auch nicht erk­lären. Wenn ich Fritz’ Arzt sah, da wusste ich immer, ich lege ihn in die richti­gen Hände, die wis­sen, was sie machen müssen. Er bastelt nicht zu viel an Fritz’ Sit­u­a­tion und er stellt auch nicht die Frage, ob wir zu wenig machen. Ja, es stimmt schon, er sieht auch nie einen Kom­pro­miss, etwas zu Hause zu meis­tern, mit jedem Prob­lem weist er den Jun­gen in die Klinik ein. Aber trotz­dem, es ist diese Ahnung, er sei der richtige Arzt.

Der Notarzt ließ wieder auf sich warten. Die Ret­ter dage­gen waren so schnell, kurz nach dem Anruf standen sie vor der Tür, als hät­ten sie unten am Hau­sein­gang nur darauf gewartet, als hät­ten sie es gewusst, der Fritz, der macht heute Prob­leme. Sie betrat­en die Woh­nung und gle­ich zog eine Kälte, etwas Unnatür­lich­es mit ein. Die Hände, ich wusste nie, reicht man sich die Hand oder bleibt es beim Hal­lo; ich wusste nie, ob ich alles richtig mache, ob ich es richtig erk­läre. Der Junge ist heute anders, ganz anders als son­st. Sein Kinder­arzt, der kommt nicht, erk­lärte ich den bei­den Ret­tern. Fritz’ Kranken­schwest­er wusste auch nichts zu sagen. Sie schaute drein, als wolle sie gle­ich los heulen, in ihren Augen standen die Trä­nen bis kurz vorm Über­lauf. Wenn sie den Fritz mit­nehmen, dann kann ich sie eh nicht gebrauchen und ich schick­te sie aufs Sofa im Wohnz­im­mer, sie solle warten. Ich brauchte Platz um Fritz, mir reicht­en schon die San­itäter, wie sie vor dem Bett ihre Tech­nik aus­pack­ten. Sie fragten, ob der Junge auch kurzzeit­ig ohne Beat­mung sein könne, die Fahrt über. Ich verneinte. Dann müssten sie ihr Gerät anschließen. Ich verneinte nochmals. Seine Beat­mung sei auf ihn eingestellt. Ich wusste noch, sie star­rten mich an, als hätte ich sie angeschrien. Meine Hände zit­terten und ich stre­ichelte über Fritz, sein heißes Gesicht. “Hat­ten sie schon Fieber gemessen”, fragte ein­er der bei­den. Ich zuck­te zusam­men. Fieber, das sollte die Schwest­er messen. Wozu ist sie denn da? Doch ihr stand nicht nur das Wass­er in den Augen, sie war weiß im Gesicht, als ich sie ansprach. Sie bewegte sich nicht, sie sagte nichts. Am lieb­sten hätte ich ihr gesagt: Fritz, er ist nicht tot. Ich wusste nicht, ob ich das Wort “noch” ein­fü­gen darf, in mir zit­terte es, wenn es doch seine let­zte Stunde ist. Im Kopf war ich plöt­zlich klar, jed­er Gedanke, jedes Wort wirk­te wie schon vol­len­det gedacht, als gäbe es keine Alter­na­tive, keinen anderen Weg. 40,1 hieß es dann von den Ret­tern, und hat­te er schon früher solche Zustände, war dann die Frage. Ich legte die Frage bei­seite, star­rte auf Fritz. 40,1, ich strich über seine Stirn, sie sucht­en an ihm und stachen dann in eine Vene, hin­gen ihn an eine Leitung tropfend­es Wass­er. Ich schaute nur zu, ich schaute auf den Mon­i­tor, doch alle Zahlen ver­wis­cht­en zu einem Grün. Ich ver­suchte die Zeit anzuhal­ten, ver­suchte Fritz fest zu hal­ten. Er solle bleiben, bei mir. Der Notarzt trat ein und ein­er der Ret­ter schob mich bei­seite. Er hörte Fritz’ Brust ab, redete was von Diazepam, ob und wann und hat­te der Junge schon mal einen epilep­tis­chen Anfall. Ich nick­te. Der Arzt und ein San­itäter pack­ten Fritz, der andere die Mas­chine und zogen mich hin­ter­her in die Ret­tungswa­gen. Als ich im Wagen saß, das Horn los heulte, kon­nte plöt­zlich ich beim Atmen kaum die Brust heben, den Bauch, als sei ich einge­quetscht, alles steck­te fest in mir.

Kat­e­gorie: 



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