Ein Mitbewohner und die Sterbehilfe

Der Tod, ja der ste­ht neben einem, immer, und es ist die Kun­st im Leben, ihm zu wider­ste­hen. Liegt man im Kranken­bett und er reicht seine Hand rüber: nimmt man sie an oder ver­wehrt man sie.

Aktive Ster­be­hil­fe — über 30 Prozent der Men­schen in Deutsch­land seien dafür, so eine aktuelle Studie. Da frage ich mich, wis­sen die Men­schen über­haupt, wofür sie ja sagen?

Natür­lich hört es sich erlösend an, wenn jemand schw­er krank ist und meint, den Zeit­punkt, an dem Tag, an dem es mir am schlecht­esten erge­ht, an diesem Tag sage ich dem Leben adieu. Die Kon­se­quenten, die wollen diesen Schnitt nicht erst dann, sie fordern den Tod, wenn die Diag­nose ein­er unheil­baren Erkrankung ste­ht. Sie möcht­en erst gar nicht den, für sie, Lei­densweg “Krankheit” antreten.

Doch was machen wir Eltern mit einem Kind, was eine Erkrankung bietet, wo der Kampf gegen die Schmerzen eine alltägliche Angele­gen­heit ist, wo die Leben­squal­ität des Kindes jeden Tag in Frage gestellt wird und der Tod, betra­cht­en wir ihn als Per­son, nicht mehr an der Woh­nungstür ste­ht und wartet, son­dern schon ein Gast, ein Mit­be­wohn­er, gewor­den ist und man von ihm nur wis­sen will: Wann ist es so weit? Doch er schweigt, er lässt einem im Ungewis­sen, ob es heute, ob es mor­gen sein wird.

Ster­be­hil­fe, wie soll ich sie als Vater ver­ste­hen oder kann ich sie sog­ar so ver­ste­hen, dass ich oder wir Eltern aktive Ster­be­hil­fe leis­ten kön­nten. Schließlich, es lag in unseren Hän­den, zu sagen, bevor sie ihre Tra­chealka­nüle bekam: Nein, sie bekommt kein Luftröhren­schnitt. Es wäre ihr Tod gewe­sen vor gut drei Jahren. Doch war die Chance, ob sie mit einem Luftröhren­schnitt über­leben wird, auch nur eine sehr Geringe. Doch hat er, der Tod, nach dieser kleinen OP, das Ster­ben von ihr zurück­ge­zo­gen, wie als hätte sie eine neue Zudecke bekom­men, mit der er ihr Leben “spendete”.

Aber er, der Tod, ist nie von ihr gewichen, nicht nur seit­dem wir um ihre lebensverkürzende Prog­nose wis­sen. Er ist präsent, mit jed­er neuen Ver­schlechterung des all­ge­meinen Zus­tandes, mit jed­er akuten Änderung ihres Wesens: Da ste­ht er wieder und wir stellen ihm nur die Frage: “Ist jet­zt der Zeit­punkt, in dem Du sie mit­nehmen möcht­est?“ Er schweigt, als gehöre es auch zu sein­er Auf­gabe dabei.

Doch kom­men wir ihm näher, wenn wir ihr die Ther­a­pie der Epilep­sie ver­weigern? Eben weil wir der Auf­fas­sung seien, es täte ihr nicht gut oder wir wür­den denken, wir ver­längern ihr damit nur das Leid, und begeben uns mit dem Nein zur Ther­a­pie auch auf den Weg der pas­siv­en Ster­be­hil­fe. Dies, weil wir die Gewis­sheit hät­ten, die Epilep­sie hätte dann, vielle­icht, dem Tod das Leben gegeben in einem größeren Anfall, wo sie durch eine lange Atem­pause “erstickt” wäre.

Ich weiß, eine Ver­mu­tung. Denn die Epilep­sie, so wie sie über das Kind herrscht, kann auch unter der Ther­a­pie ihrem Leben jeden Tag das Ende setzen.

Doch Ster­be­hil­fe, es scheint mir leicht, dass die Men­schen dem ja sagen und ich suche die Moti­va­tion dahin­ter. Ist es die Idee, dass man denkt, wenn man schw­er krank ist, hätte man keine Leben­squal­ität mehr. Oder ist es die Angst vor dem Tod an sich, da man nicht weiß, wie man sich ver­hält, wie es ist, wenn man stirbt. Oder ist es die Gewis­sheit, am Ende des Lebens alleine zu sein, wo ein Nie­mand einem die Hand hält, ein nie­mand noch Zeit hat für einem jet­zt “nut­zlosen” Mit­men­schen, mich Ster­ben­den, weil das Leben muss weit­erge­hen, wenn man sich, langsam, aber eben aus diesem Leben verabschiedet.

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