Intensivkind & Alltag: Verfangen im Thema

„Sagen se mal, beste­ht ihr Leben nur noch aus dem The­ma Behin­derung?“ — Das Behin­derung und Krankheit “irgend­wie” omnipo­tent ist im Leben, ist sicher­lich nicht ver­wun­der­lich und wird hier im Blog deut­lich. Doch sorgt diese Vorherrschaft zu eini­gen Missver­ständ­nis­sen, da man immer mal auf die Mei­n­ung stößt: Man kann sich doch nicht tagtäglich damit auseinan­der­set­zen. Es sei nicht gut, wenn nicht sog­ar unge­sund. Ja, wie?

Ob man es kann, ist sicher­lich keine Frage und dass es im Rah­men der Psy­chohy­giene gut ist, sich leer zu machen von dem, was das Leben bes­timmt und sich immer mal mit ganz anderen Din­gen zu beschäfti­gen, die nicht zum All­t­ag gehören, ist mir bewusst. Doch ist dies nicht so ein­fach, wobei ich schon ganz froh bin, nicht jeden Tag mit dem The­ma Tod und Ster­ben eine „Besprechung“ führen zu müssen.

Aber beim The­ma Behin­derung: Nun da geht es schon los mit den Bar­ri­eren auf den Wegen durch Stadt und Land, dann der min­destens ein­mal wöchentliche Briefkon­takt mit Amt & Behörde, die regelmäßi­gen Wege zu Arzt und Apotheke etc. Epilep­tis­che Anfälle in den Mor­gen­stun­den, blaue Lip­pen und eine untyp­is­che Herzfrequenz.

Behin­derung & Krankheit, dass ist Teil des Lebens bei uns und lässt sich bei einem Inten­sivkind, wo es fast jeden Tag ein Ereig­nis gibt, nicht weg­wis­chen. Das ist sicher­lich anders bei einem chro­nisch Kranken, der nur seine Pillen schluck­en muss und gut ist. Pillen gibt es zwar auch in unserem Inten­sivZ­im­mer, aber, wie es eben so ist, Medika­mente sind kein All­heilmit­tel und jede Behand­lung hat ihre Grenzen.

Nun, ich ver­ste­he schon diese Vor­be­halte, zu stark mit einem The­ma ver­fan­gen zu sein. Denn das Leben bietet mehr als es nur auf den The­menkom­plex „Inten­sivkind“ zu reduzieren. Denn daneben läuft man noch Gefahr, den Blick zu ver­lieren für das Nor­male, also was das Leben der 90 Prozent der Men­schen um uns bestimmt.

Ja, das Nor­male eben. Da stört es keinen, wenn sie Tag ein und aus nur an Fußball denken, an ihre Reli­gion oder an das lei­di­ge Geld, den Kon­sum oder das Auto. Nor­mal eben. Behin­derung & Krankheit, dieser The­menkom­plex ist anstren­gend, zeigt einen auf, wo die Gren­zen unseres Seins liegen und das Leid eine wichtige Kom­po­nente in der men­schlichen Exis­tenz ist.

Es ist nor­mal und nor­mal ist die Ver­drän­gung des Ganzen. Eine Ver­drän­gung, die hier Heil im „schö­nen“ Erleben und der materiellen Befriedi­gung sieht, salopp gesagt. Diese Ver­drän­gung klappt so gut, dass selb­st der Tod fast als etwas nicht nor­males erlebt und aus­ge­blendet wird. Nun, man mag ja glauben, die über­mäs­sige Beschäf­ti­gung mit dem Tod als ein Objekt oder mit toten Din­gen gilt nicht ger­ade als eine Ori­en­tierung, die dem Leben zu geneigt ist. Da set­zt man sich aber bei der Beschäf­ti­gung mit Krankheit und Behin­derung ger­ade mit dem Leben an sich auseinan­der. Da wird einem der Begriff Leben­squal­ität bewusst, die darin nicht nur die Befriedi­gung aller Bedürfnis­sen sieht, ins­beson­dere der, die sich dem Kon­sum zugewen­det haben.

Die Auseinan­der­set­zung mit Behin­derung ist unbe­quem und doch kommt man nicht drum herum, wenn man eine möglichst anständi­ge Ver­sorgung des behin­derten Kindes her­stellen möchte. Da muss man so einige Argu­mente, Geset­ze und Denkstruk­turen ken­nen und auch verin­ner­licht haben, damit sie vor Amt & Behörde spon­tan genan­nt wer­den können.

Aber gibt es keine Auszeit, wo man mal alles von sich streck­en kann und den Tag den Tag sein lassen kann? Nun, im kleinen Rah­men schon, wenn man über eine län­gere Zeit eine Ent­las­tung wahrnehmen kann. In dieser Zeit kann man sich auch mal um andere Dinge küm­mern, die weit weg liegen vom Grundthe­ma im All­t­ag. Und in ein­er solchen Zeit, so erg­ing es zumin­d­est mir, spürt man schon, dass man doch ganz gerne noch andere Flüsse im Leben ken­nen ler­nen möchte und welche Insta­bil­ität, Erschöp­fung und Äng­ste auch in unserem All­t­ag mitschwin­gen. Aber man sieht es eben erst dann, wenn man mal den Abstand zum All­t­ag gewin­nen kann. Wenn man es kann.

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