Die Erinnerungen an Hamburg, die Tage im Kinderhospiz, rücken langsam in den Hintergrund, sortieren sich neu und dabei taucht dann die Angst auf: Vergisst man nicht etwas? Eine Erfahrung, die vielleicht wichtig sei fürs Leben. Und warum ist ein Aufenthalt im Kinderhospiz nicht gleich gemein mit dem gängigen Begriff vom Urlaub?
Eigentlich darf ich Ihnen auf die letzte Frage keine Antwort geben. Schließlich, woher will ich wissen, wie Sie ihren Urlaub verbringen, ob Sie nicht den Kontrast suchen zum alltäglichen Leben hinter der Werkbank oder dem Schreibtisch, also den Nervenkitzel fordern und sich deshalb in Situationen manövrieren, wo man bei einem einzigen Fehltritt dem Tod nahe kommen kann. Zumindest hat der Aufenthalt in einem Hospiz nichts mit dem Urlaub gemein, wie ich ihn “eigentlich” anstreben würde: Raus aus dem Alltag, dessen Schatten versuchen zu vergessen und um Neues kennen zu lernen, ob Ort oder Menschen, die einem vielleicht auch das bisherige Leben mit Fragen versehen. Sicherlich, nicht jeder Urlaub wird auch diesem entsprechen, dafür reicht zum einem nicht der Geldbeutel und zum anderen kann der Wille, einfach die Seele, na sage ich mal, leer werden zu lassen, stärker sein als die Suche nach neuen Eindrücken. Beide Varianten des Urlaubs, sie kommen ein Stück weit, gefühlt, der Entlastung im Hospiz nah. Doch wiederum auch nicht. Die unvermeidbare Prognose “Tod” vom Kind setzt sich sogar noch stärker in den Vordergrund. Sicherlich, man kann sich von einer Last im Alltag lösen, der Pflege beim Intensivkind, und “sieht” plötzlich die Zeit, die es zu füllen gilt. Man sieht die Zeit und doch spürt man die Unlust, diese zu füllen. Ähnlich müsste es einer fast abgebrannte Kerze gehen, deren Flamme immer kleiner geworden ist, da mehr und mehr Sauerstoff fehlte, die Kraft zum Leben, und als endlich jemand das Fenster öffnete, um frische Luft reinzulassen, wurde sie nicht größer, was zu erwarten wäre. Die Flamme wuchs nicht, da der Docht über die Zeit geschrumpft war.
Und Hospiz bedeutet eben: die Gespräche gehen über die Kinder, deren schwere Erkrankungen mit der “Begleiterscheinung” Gesundheitswesen und dem Tod. Und Hospiz ist auch: Es wird gestorben. Dieses, wie damit umgegangen wird, erfuhren wir schon in unserem ersten Aufenthalt. Doch war es diesmal ein Stück anders. Man gewann eine Beziehung zu einer Familie, wo das Kind während des Aufenthaltes sich “entschieden” hatte zu gehen. Sprich, es war nicht mit dem Beginn des Aufenthaltes abzusehen, sie kamen gleichzeitig mit uns zur Entlastung und dann ging es plötzlich ganz schnell. So viel zur Prognose: “Sie kann jederzeit eines “unvorangekündigten” Todes sterben”, wie es die Krankheit unseres Kindes beschreibt.
Dieser Tod warf eben wieder die Frage auf: Wie wünschen wir es uns und haben wir überhaupt einen Einfluss darauf, wann und wie sie stirbt? Gedanken, die, wenn man an Urlaub denkt, nicht mit einem solchen verbindet. Der Seele einfach mal Luft zum atmen zu geben ist dabei mehr eine Utopie und trotzdem war es hilfreich, man “gewann” etwas für sich. Wie? Man sprach mit den Eltern, fühlte, wie sie die Situation neben dem Totenbett lebten, wie sie jetzt die Eindrücke aus der Vergangenheit sahen und was dem Kind besonders gefiel. Doch achtete man dabei immer auf das Ding “Last”. Werden wir für die Trauernden zu Last oder denken diese, dass Sie uns mit der Situation zu belasten. Vom Verstand her habe ich darauf keine Antwort gefunden, aber ich fühlte ein OK neben einem Schatten. Ein OK, da sie es offen ansprachen, dass wir sie besuchen können am Bett ihres gestorbenen Kindes. Ein OK, da sie der Tod, trotz seines schnellen, nicht angekündigten Eintreten, nicht ohne Vorahnung traf. Es hätte schon früher passieren können.
Ein Schatten? Auch wenn die Eltern sich stabil zeigten, lässt einen nicht die Ahnung los: Irgendwann überwältigt einen, auch sie, die Ohnmacht in der Trauer. Einen Schatten, den man bei sich selbst nur erahnen kann, wenn das eigene Kind stirbt. Was ist dann?