Fotografie — Auszeit von der Pflege

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Über 14 Jah­re sind wir als Vater, als Mut­ter in der Pfle­ge unse­rer Toch­ter gefan­gen. Gefan­gen ist ein schwe­res Wort und nimmt die Ver­ant­wor­tung der Fra­ge ab: Haben wir uns nicht dafür ent­schie­den, unse­re schwer erkrank­te Toch­ter Zuhau­se zu pflegen? 

Dies stimmt, wir haben damals dem ja gesagt, wie es ver­mut­lich vie­le jun­ge Eltern ent­schei­den wür­den, wenn sie ihr Baby auf dem Arm tra­gen und nicht wis­sen, wie die Zukunft wird. 

Eben wel­che Last eine täg­li­che Schwerst- und Inten­siv­pfle­ge mit sich bringt.

Was es für eine Last ist, spür­te ich deut­lich bei unse­rem ers­ten Auf­ent­halt in einem sta­tio­nä­ren Kin­der­hos­piz, damals 2007 in Ham­burg. Denn plötz­lich fällt die­se täg­li­che Pfle­ge­ar­beit weg und wir schlie­fen die ers­ten Tage dort lang und viel. 

Dane­ben nah­men wir die Last bei ande­ren Eltern in Ham­burg oder ande­ren Orts wahr, die schon fast zwei Jahr­zehn­te ihr erkrank­tes und /​oder behin­der­tes Kind mit hohem Ein­satz pfle­gen. Eini­ge sahen erschöpft aus und es wirk­te so, als sei alle Flam­men gelöscht wor­den, wel­ches ihr Dasein lebens­wert machten. 

Somit wur­de unser Wert, unse­re Idee vom Lebens­wert gebo­ren: Auch wenn wir über Jah­re, wenn sogar Jahr­zehn­te unse­re schwerst pfle­ge­be­dürf­ti­ge Toch­ter zu hau­se ver­sor­gen, dann wol­len wir fit blei­ben und dem „nor­ma­len“ Leben dazu gehören. 

Neben dem Schrei­ben oder dem Wald­be­such, fand ich die Foto­gra­fie als Geschenk, die mich aus der grau­en Pfle­ge­welt raus hol­te. Sie ver­stumm­te nicht nur mei­ne Gedan­ken­welt über die Pfle­ge und Kämp­fen mit der Krankenkasse. 

Sie pau­sier­te das ste­ti­ge Pfle­ge­le­ben, sie setz­te einen Cut oder Break zum Wirr­warr und den Ängs­ten im Kopf, wenn ich hin­ter, durch die Kame­ra die Welt sah, wenn ich am Bild­schirm die Fotos bearbeitete. 

Was es auch ist, was die­se Pau­se bestimmt wie die Ästhe­tik des Sehens, es wur­de eine „Gold­gru­be“ für mich. Ich kam aus dunk­len, in sich krei­sen­den Gedan­ken raus. Egal war und ist dabei, wie lang die­se gedank­li­che Pau­se ist. Wich­tig ist deren Qua­li­tät und die Häufigkeit. 

Okay, ich stim­me zu, die­se Arbeit schütz­te mich nicht vor einer grö­ße­ren Erschöp­fungs­kri­se 2018. Die Foto­gra­fie half mir aber schnel­ler wie­der die Schön­hei­ten des Lebens zu ent­de­cken, mich für mein Dasein zu begeistern. 

Dies wie­der­um setz­te einen wich­ti­gen Gegen­spie­ler zu der Erschöp­fung, gegen die Argu­men­te, die mich nie­der schlugen. 

Ich gewann durch die Foto­gra­fie, neben ande­ren klei­nen Din­gen wie Medi­ta­ti­on, wie­der an Lebens­wert, wie­der Ver­trau­en zum Leben, wie­der neu­er Kraft für die täg­li­chen Pfle­ge­ar­beit, für den Job.

Dies ist span­nend, wie dies mich gestal­tet und ich bin dafür dank­bar. Dank­bar bin ich den Men­schen, die mein Sehen geformt haben wie Tors­ten Sei­delMax Schmitt (wel­cher vor weni­gen Jah­ren in sei­nen jun­gen Lebens­zeit lei­der starb) und die den Wert und mich in der Foto­gra­fie stüt­zen — mei­ne Familie.

Die Fotos fin­dest Du auff fotos​.zitro​nen​zu​cker​.de

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by dirkstr

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