Pflegende Eltern müsst ihr sein, damit euch was fehlt und vergiss Diagnose

Über 17 Jahre zählen wir uns zu der Gruppe „pfle­gende Eltern“ und was uns fehlt, war schon damals bekan­nt. Und haben sich Lösun­gen geöffnet? Na ja. Zum Teil und eingeschränkt.

Was uns pfle­gen­den Eltern fehlt, passt in fünf Stich­worten: Ver­trauen, Leis­tungsrecht, Inte­gra­tion, Ent­las­tung, Unterstützung.

Ist dem wirk­lich so?

Vielle­icht ja, vielle­icht nein, dann was mir über die Jahre fehlte, ist ein sub­jek­tives Ding. Es war und ist abhängig vom sozialen Net­zw­erk, der Krankenkasse, deren Sachbearbeiter:innen und wiederum der Kom­mune und deren Sachbearbeiter:innen. 

Klar ist: Ich pflege ein Kind, eine Jugendliche, die mehrfach behin­dert ist. Ich bin pfle­gen­der Vater und kenne und kan­nte andere Fam­i­lien, andere pfle­gende Eltern, beru­flich, pri­vat und aus dem Ehrenamt.

Aber begin­nt unser Bedarf an Hil­fen mit der Rolle „pfle­gende Eltern“ oder ist es die Erkrankung?

Was uns fehlt bestimmt der Pflegeaufwand

Unsere Tochter, unser Inten­sivkind, ist abhängig von Tech­nolo­gie sowie lebens­bedrohlich erkrankt und neben ihren äußerst hohen Pflegeaufwand. Sie muss bis zu 24 Stun­den täglich medi­zinisch-pflegerisch überwacht und gepflegt wer­den

Weil sie gesund­heitliche Baustellen hat, die in die Tiefe gehen und sich an dem Fun­da­ment ihres Lebens eröff­nen, sodass ihre Gesund­heit gestützt wer­den muss aus einem größeren Mix, was unser Gesund­heitswe­sen anbi­etet. Sie bedarf Leis­tun­gen aus mehreren Bereichen:

  • Hil­f­s­mit­tel wie Roll­stuhl oder Beatmungsgerät
  • Heilmit­tel wie Phys­io­ther­a­pie oder Logopädie
  • Medika­mente
  • Häus­liche Krankenpflege (außerklin­is­chen Inten­sivpflege)
  • ärztliche Betreu­ung mit ver­schiede­nen Spezialambulanzen
  • Pal­lia­tivver­sorgung
  • Kranken­hausver­sorgung bei Krisen und zur Diagnostik
  • Not­fallmedi­zin in Krisen

Jupp, und da ist der Hak­en, wo darf ich fest­machen, ob das, was uns fehlt in diesem Sys­tem, auch anderen pfle­gen­den Eltern fehlt. 

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Smile — dein Lächeln neben der Beatmung

Andere Fam­i­lien haben andere Baustellen und es mag sein, die Auswirkun­gen sind ähn­lich, die benötigten Hil­fen sind ähnlich.

Eine Objek­tivierung ist hier nötig, soweit sie wiederum möglich ist, aber nicht abschließend sein sollte und darf. Es würde bedürftige Fam­i­lien wiederum auss­chließen, die nicht mit diesem Objek­tiv gese­hen wer­den kön­nen und doch mit ihren Nöten existieren. 

Die Sozialarbeiter:innen in den Kliniken oder Selb­sthil­fe-Vere­ine bemühen sich sehr, diesen Bedarf pfle­gen­der Eltern zu erfassen. 

Auch die Kinder­hos­piz- und Kinder­pal­lia­ti­var­beit nimmt sich sehr inten­siv der Frage an.

Was muss geleis­tet und aufge­baut wer­den für eine gute Ver­sorgung der Familien?

Sie ler­nen und lern­ten dabei, was die Fam­i­lien brauchen, kann sehr indi­vidu­ell und kom­plex sein. Eine ein­fache, klare Antwort gibt es nicht.

Denn jede Fam­i­lie ist einzi­gar­tig in ihrer Lebenssi­t­u­a­tion und in ihren Ressourcen mit einem (schw­er) erkrank­ten Kind. 

Definition pflegende Eltern

Und da ver­nahm ich, um als pfle­gend zu gel­ten, um eine Leis­tung abzu­rufen, muss zuerst definiert wer­den, welche Gruppe der Eltern gehört zu den pfle­gen­den Eltern?

Dür­fen wir uns dabei auf die Regeln der Pflegebedürftigkeit, wie sie uns die Pflege­grade erläutern, zurück­lehnen und meinen, pfle­gende Eltern sind die, bei denen ein erkrank­tes oder behin­dertes Kind einen Pflege­grad hat?

Klar, dies kön­nen wir machen.

Ich antworte zu schnell oder ich sage im zweit­en Satz nein, denn wir lan­den hier an dem Punkt oder wan­dern an die Gren­ze, an der Pflege, Betreu­ung, Erziehung und all­ge­meine Für­sorge ineinan­der fließen.

Wir sehen nicht die Eltern mit dem Objek­tiv „Pflege­grad“, die pflegerisch ihr Kind ver­sor­gen, wo kein Pflege­grad besteht.

Der Pflege­grad zielt auf eine bes­timmte Gruppe an Men­schen ab, die Leis­tun­gen der Pflegekasse bedür­fen. Die ein­er Def­i­n­i­tion unter­liegen: den Pflegebedürftigkeitsbegriff. 

Über diesen haben sie schlaue Men­schen, Wissenschaftler:innen viele Gedanken gemacht, geforscht und Stu­di­en gewälzt und dann definiert.

Eine wertvolle Arbeit.

Doch ein Kind mit Dia­betes oder schw­eren Asth­ma bedarf auch der Krankenpflege, doch bewirkt dies allein nicht gle­ich einen Pflegegrad.

Dazu gilt, die Instru­mente zur Erhe­bung des Pflege­grades, früher Pflegestufe, sind primär auf erwach­sene alte Men­schen zugeschnitten.

Ich frage mich, auch wenn Dinge in der Bedarf­ser­he­bung für den Pflege­grad für Kinder definiert sind, meint es nicht gle­ich die Pflege, wie wir sie mit der Pflegebedürftigkeit unsere Großel­tern verstehen.

Pflegende Eltern sind unabhängig vom Pflegegrad

Pfle­gende Eltern sind für mich die Gruppe an Eltern, die ein chro­nisch erkrank­tes oder behin­derten Kind ver­sor­gen, welch­es einen außergewöhn­lichen Bedarf an Pflege­maß­nah­men, Für­sorge und Betreu­ung hat.

Mit außergewöhn­lich meine ich einen erhöht­en zeitlichen Aufwand, benötigte Wis­sen und Kön­nen für die Sorgear­beit beim eige­nen Kind, der über die „übliche“ Für­sorge hinausgeht. 

Der zeitliche Aufwand wiederum kann je nach Alter des Kindes unter­schiedlich sein, was dabei als nor­mal oder außergewöhn­lich gilt. Eltern, wo das “beson­dere” Kind das Erste ist, kön­nen häu­fig nicht ver­gle­ichen, wie viel Zeit für die Kinderpflege und Sorgear­beit als nor­mal gilt, welche Selb­st­ständigkeit in welchem Alter nor­mal ist. 

Diese pfle­gen­den Eltern bedür­fen dazu spezielles Fach­wis­sen, medi­zinisch wie pflegerisch, um ihr erkrank­tes und/oder behin­dertes Kind best­möglich durch den Tag zu führen und einen guten Start fürs „große“ Leben aufzubauen. 

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Absaug­gerät auf dem Boden mit Spritze für Nahrungsonde

Diese Eltern brauchen Fach­wis­sen zur Kranken­be­hand­lung, der Pflegear­beit, Förderung und Heilmit­teln, wie die beste­hende Behin­derung aus­geglichen und weit­ere Behin­derun­gen ver­mieden wer­den können. 

Dazu muss klar sein, Pflege ist nicht „ein­fach“ Betreu­ung, welche meint: Ich bin jet­zt da für dich, ich passe mal auf dich auf und lese dir gern was vor. 

Pflege beschreibt Maß­nah­men, die dazu dienen, einen ärztlichen Behand­lungs­plan zu erfüllen, auf den Krankheitsver­lauf pos­i­tiv einzuwirken oder die fehlende Selb­st­ständigkeit in der Selb­st­für­sorge auszugleichen. 

Pflege ste­ht für eine Pro­fes­sion und wenn Laien Pflege ler­nen, bedeutet dies ein Ler­nen von spez­i­fis­ch­er Pflegear­beit, die ihr Kind, ihr:e Partner:in oder Eltern­teil bet­rifft. Diese „Spezial­isierung“ kann und sollte nicht ohne Reflex­ion über­tra­gen wer­den auf andere Men­schen mit Pflegebedarf. 

Das macht eben diese Pro­fes­sion aus. Eine Pflege­fachkraft prüft, reflek­tiert ihre Erfahrung mit ihrem Fach­wis­sen und weiß, was bei Patient A funk­tion­iert, kann bei Patient B zum Prob­lem werden. 

Für mich gilt deshalb, wie es auch in der Kinder­hos­pizarbeit ver­standen wird, der Bedarf ein­er Fam­i­lie begin­nt nicht erst, wenn sich die Rolle „pfle­gende Eltern“ erfüllt. Der Bedarf begin­nt mit der Diag­nose oder wenn das Kind erkrankt.

Denn dann begin­nt schon eine Sorgear­beit, die außergewöhn­lich ist. 

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Pflegezirkus