Projekt vom Kindeswunsch zum Bruch

Es macht es um einiges leichter, wenn man Pla­nun­gen oder größere Auf­gaben vor­erst als Pro­jekt ver­ste­ht. Die Angst um die Fol­gen, wenn es schief läuft, wirken nur noch min­imiert. Es war eben nur ein Pro­jekt, also ein Ver­such und nichts ern­stes. Und kann ein Kind auch zu einem Pro­jekt wer­den bzw. der Wun­sch nach einem. Ja, dies musste ich let­ztens an der Kinderklinik so inter­pretieren: Auf der Heckscheibe eines Kom­bi­wa­gen klebten große Let­ter, die zusam­men ergaben: “Pro­jekt David”. Dazu unten rechts stand der Name eines Mäd­chens geschrieben. Ein Pro­jekt, was, hof­fen wir es zumin­d­est, schon erfol­gre­ich war. Sicher­lich, die Autonutzer kön­nen auch etwas anderes mit dem Pro­jekt meinen als ein Kind, aber diese Vorstel­lung passt ein­fach zu gut ins heutige “Kinder­wun­sch und bloß nicht mit Defekt”-Denken. 

Ges­tartet wird das Pro­jekt also mit dem Wun­sch nach einem Kind und um den zu erfüllen, bedarf es in unserem Kul­turkreis eines ganzen Algo­rith­mus mit Wieder­hol­un­gen und Bedin­gun­gen. Es reicht also nicht aus, ich habe dich gern, ich möchte ein Kind mit dir und man bet­tet sich zu zweit. Nein, es wäre zu ein­fach. Zuerst äußert sich Phase Eins des Pro­jek­ts: Passt denn ein Kind in unser Leben? Also die Klärung der finanziellen Mit­tel und der Leben­s­pla­nung wie beru­fliche Kar­riere. Phase Zwei: Sind wir den über­haupt zeu­gungs­fähig? Die Frage wird immer wichtiger, denn heute reicht es nicht mehr aus nur noch die Ver­hü­tungsmit­tel abzuset­zen und dann wird zu Zeit­en des Eis­prungs beson­ders die gemein­same Intim­ität gesucht.

Nein, die Unfrucht­barkeit, zumin­d­est beim männlichen Part, nimmt zu und somit begin­nt hier schon unser Pro­jekt voll und ganz: Klappt es nicht über den herkömm­lichen Weg die Schwanger­schaft “einzuläuten”, so muss jet­zt die Medi­zin mit ihrer Diag­nos­tik und Tricks her­hal­ten. Es kön­nte also eine lang­wierige, teure und anstren­gende Angele­gen­heit wer­den. Da wird die Eigen­schaft des Pro­jekt richtig markant: Scheit­ert es, ist es halb so schlimm, es gibt ja noch diese oder jene Befruch­tung­stech­nik, wie auch die Samen­bank. Wird es ein Erfolg, also das Ei kon­nte befruchtet wer­den vom gewün­scht­en Mann und wächst, heißt es dann, das Pro­jekt ist erfol­gre­ich been­det? Nein, es begin­nt Pro­jekt Teil B. Jet­zt wird akribisch geschaut, was da nun im Bauch wächst und wie, also ob es auch ganz heile ist und der gedacht­en Norm nach dem Lehrbuch entspricht. Ein Ultra­schall, ein Fein­ul­tra­schall und eine Biop­sie oder Punk­tion folgen.

Die let­zten bei­den Unter­suchun­gen sollen die Frage beant­worten, ob denn nun alle Chro­mo­somen vorhan­den sind, keines zu viel da ist, ein zu wenig oder fehlt irgend­wo ein Stück. Also entspricht der Kinder­wun­sch auch dem Traumkind, was man sich mit Pro­jekt Teil A als Ziel fes­tlegte. Wenn nicht, nun dann gilt die Frage, ob man das Pro­jekt jet­zt abbricht, also die Schwanger­schaft been­det, wenn man es nett for­muliert. Den Schwangeschaftsab­bruch ein­leit­et. Schließlich, ist das Team erst Anfang oder Mitte dreißig, da bleibt noch etwas Zeit bis zum biol­o­gis­chen Aus des Paars, man kön­nte gemein­sam ein weit­eres Pro­jekt zu starten. Pro­jekt David, also wird es ein Junge wer­den. Ein Traumjunge, nun das wird sich zeigen, wenn er vierzehn ist und den ersten Rabatz macht auf der Straße oder sich nicht mehr von der Spielkon­sole lösen kann. Wird es akut, es fall­en die Wörter wie Strafe oder Sucht, nun da meldet sich dann der Sozialar­beit­er oder Psy­cholo­gie zu Wort. Von Pro­jekt David ist keine Rede mehr, eher von Baustelle. Aber fall­en wir vierzehn Jahre zurück, das Pro­jekt David wird aus­ge­tra­gen, geboren und dann zeigt sich erst ein Anders von der Norm nach dem Lehrbuch, gekennze­ich­net als Behin­derung. Nun vielle­icht sollte man als Eltern die ganze Mühe wegen der Behin­derung des Kindes, wie den Bar­ri­eren bei den Ämtern, als Pro­jekt ver­ste­hen, eher als eine Baustelle.

Der Vorteil zeigt sich deut­lich: Im Pro­jekt geste­ht man sich schneller Rückschläge zu, wertet sie weniger bedrohlich und lernt daraus für den näch­sten Antrag, den näch­sten Gutacht­en. Eine Baustelle — eine Behin­derung, wenn man die Nicht-Norm so tit­uliert, ist nicht gle­ich ein Defekt oder Man­gel. Die Bar­ri­eren darum, zu lang­wierig und einen­gent, das ist schon keine Baustelle mehr, da manche Bar­riere, die zum Beispiel sich gegen den Aus­gle­ich der Behin­derung stellt, nicht mal als solche erkan­nt wird. Da muss man erst­mal ein Pro­jekt pla­nen, um darauf hinzuweisen.

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